Am Horizont das rote Land: Roman (German Edition)
billiger ist.«
»Aber nur, weil sich England größere Fabriken und bessere Maschinen leisten kann!«
Sid zuckte mit den Schultern. »So ist es eben – es gibt immer jemanden, der es besser und billiger macht.«
»Billiger vielleicht, aber nicht besser.«
»Wie Sie ja sagen, ich weiß über die Qualität von Stoff nicht viel. Sehen Sie, das muss ich auch gar nicht, weil ich ja meine Gracey habe, die mich beraten kann.« Er warf seiner Verlobten ein verschwörerisches Lächeln zu, und einen flüchtigen Augenblick lang sehnte sich Rhia schmerzhaft nach etwas, was sie nicht kannte. Männer mochten Frauen wie Grace Elliot, deren Teint bleich genug war, um zu erröten, und die von einer Zartheit waren, neben der sie sich stark fühlen konnten.
»Die meisten Leute wollen billige Ware«, verkündete Sid. »Vor dem Feuer waren alle Kaffeehäuser in der Change Alley, und dort fand auch das Kaufen und Verkaufen statt. Jetzt gibt es im Bankenviertel nur noch ein oder zwei Kaffeehäuser – unten bei Cornhill und Lombard Street. Das Wichtigste ist das Jerusalem.« Rhia war auf einmal hellwach. Die Visitenkarte, die sie bei Ryan auf dem Fußboden gefunden hatte, war vom Jerusalem Coffee House. Als wäre es ihr gelungen, sie allein dadurch herzuzaubern, dass sie gerade an jenen Tag gedacht hatte, standen plötzlich Laurence und Mr Dillon in der Taverne. Laurence strahlte. Er hatte ja gewusst, dass sie hier sein würde. Als sie ihre Ecke erreichten, klopfte Mr Dillon Sid, zu Rhias noch größerem Erstaunen, freundschaftlich auf die Schulter. Nachdem er Rhia und Grace höflich begrüßt hatte, verschwand er Richtung Bar. Laurence quetschte sich neben Rhia, während Sid und Grace miteinander turtelten.
»Sie sehen fantastisch aus.«
»Sie auch«, erwiderte sie leichthin. Es war einfacher, auf Laurence’ harmloses Flirten einzugehen, als ihm zu widerstehen. Außerdem mochte sie ihn und, selbst wenn sie ihm keine gute Ehefrau abgeben würde, so hatte sie doch nichts dagegen, bewundert zu werden.
»Ich habe Sie noch nicht mal gefragt, wie es Ihnen beim Drachen ergangen ist«, fügte er hinzu. Rhia warf Grace einen kurzen Blick zu, ehe sie Laurence warnend ansah. Er nickte, zwinkerte und legte verschwörerisch den Finger an die Lippen. Grace war jedoch ohnehin mit Sid beschäftigt und hörte nichts.
»Miss Elliot arbeitet dort im Laden«, flüsterte Rhia.
»Ah, ich verstehe«, flüsterte er zurück.
»Mr Montgomery schienen meine Entwürfe zu gefallen. Er sagte, er werde darüber nachdenken, und dann musste er eilig irgendwohin.«
»Diese Drachen sind sehr beschäftigte Wesen, müssen Sie wissen.«
»Wo wir von Drachen sprechen, was ich Sie schon eine Weile fragen wollte: Ist Mr Dillon immer so distanziert oder habe bloß ich diese Wirkung auf ihn?«
Laurence wirkte verblüfft. »Mir war nicht aufgefallen, dass er distanziert ist.«
Rhia lachte. »Ihnen würde ja noch nicht mal auffallen, wenn Ihre eigenen Knöpfe offen stehen. Aber Sie haben meine Frage trotzdem beantwortet. Es muss an mir liegen.«
Laurence schaute zur Bar hinüber. »Ich vermute, er grübelt viel. Aber sie hätten ihn mal sehen sollen, als wir noch Studenten waren. Manchmal habe ich mir morgens überlegt, ob ich bei ihm vorbeischauen soll, um sicherzustellen, dass er nachts nicht poetisch verstorben ist. Aber er ist ein sehr vernünftiger Bursche. Wenn ihn etwas persönlich erzürnt, ist es am schlimmsten. Wie mit dieser Geschichte im Pearl River …«
»Aber warum erzürnt ihn das so?«
»Sein jüngerer Bruder war Student und lebte in Kanton …« Laurence verstummte, als Dillon auftauchte und einen Krug Porter sowie einen Sherry für Grace auf den Tisch stellte, die ihren Kuchen nicht angerührt hatte.
»Oh, sehr schön«, sagte Laurence. »Rhia hat mich gerade nach deinem Artikel über den Krieg gefragt.«
Dillon warf ihr einen überraschten Blick zu. »Interessieren Sie sich für die Kriegswirtschaft, Miss Mahoney?«
Bei seinem Tonfall ging sie sofort in Abwehrhaltung. »Wir sind alle von der Wirtschaft betroffen. Mein Vater hat der Krone überhöhte Zölle dafür bezahlen müssen, um sein Leinen exportieren zu dürfen, daher bin ich lediglich neugierig, wofür die Krone ihre Steuern ausgibt.«
Lachfältchen tauchten um Mr Dillons Augen auf, und Rhia fiel vor Überraschung fast vom Stuhl. Er hatte Sinn für Humor. »Ein berechtigtes Argument, Miss Mahoney. Um ehrlich zu sein, interessiert mich etwas, was sich Kapitalismus nennt. Es ist
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