Am Horizont das rote Land: Roman (German Edition)
eine relativ moderne Industrie, und zwar eine, die Leute umbringt.«
Kapitalismus . Das Wort klang unheilvoll.
»Könnten wir uns bitte über etwas weniger Tiefsinniges unterhalten«, bat Laurence. »Ich habe überhaupt keine Neigung für Zahlen.«
»Das hast du in der Tat nicht, Blake – wie deine jüngste Reise nach Paris gezeigt hat.« Mr Dillon betrachtete Rhia mit hochgezogenen Augenbrauen und einem schiefen Lächeln. »Mr Blake hat eine Sammlung von Daguerreotypien von einem Pariser Händler erstanden, der meiner Meinung nach ein Halunke ist.«
Laurence lachte. »Komm schon, Dillon, du hast Miss Mahoney mit deinem Gerede von der Finanzwelt schon genug gelangweilt …«
»Aber ich bin überhaupt nicht gelangweilt«, versicherte Rhia ihm. Sie erkannte langsam, dass es da einen ganzen Aspekt des Handelswesens gab, von dem sie wenig wusste. Menschen kauften und verkauften tatsächlich Güter, ohne sie je zu Gesicht bekommen zu haben, und noch nicht einmal, weil sie die Ware unbedingt haben wollten, sondern weil sie ihr eigenes kleines Reich aufbauen wollten. Als ob ein Imperium nicht genug wäre. »Mr Dillon, ehrlich gesagt, würde ich es sehr schätzen, wenn Sie mir erklären könnten, warum ich kein Vertrauen in Banknoten haben sollte.«
Sofort wurde er wieder ernst. »Das ist eher eine Frage des eigentlichen Kapitals, das durch das Papiergeld vertreten wird, Miss Mahoney. Die Bank of England ist im Grunde nur ein Aufbewahrungsort für eine begrenzte Menge an Münzen und Barren, und wenn eine Haupthandelsroute, so wie das Südchinesische Meer nicht mehr länger funktioniert, entsteht ein Dominoeffekt. Die Balance zwischen Kapital und Schulden gerät aus dem Gleichgewicht, und die Tresore leeren sich rasch.«
»Sie meinen, wenn ich mein Silber bei einer Bank einlagern und dann eine Gutschrift erstellen würde, dann ist das gar keine richtige Geschäftsabwicklung?«
»Genau. Ihr Silber hört auf zu existieren, sobald es bei einer Bank eingelagert ist.«
»Aber dann ist das Bankwesen doch eine Farce!«
»Natürlich«, erwiderte Dillon kühl, als handle es sich dabei um etwas, was jeder wusste. »Ich empfehle, Zahlungen lieber mit echten Münzen, als mit Geldnoten vorzunehmen, bis die Silbervorräte wieder aufgefüllt sind. Die Tresore sind nicht vollkommen leer, machen Sie sich keine Sorgen«, fügte er hinzu, als Rhia die Augen aufriss. »Gewisse Mengen an Silber gelangen täglich durch die Kalkutta-Börse nach London. Hauptsächlich Opiumgeld, aber das kommt nur hierher, um gewaschen zu werden, damit die Krone behaupten kann, dass die Steuern auf Opium nicht direkt dafür verwendet werden, Tee zu kaufen.«
»Aber von den Kolonien kommt ebenfalls Silber«, mischte sich Sid ein. »Und für Ländereien an der Ostküste Australiens gibt es einen guten Preis. Außerdem ziehen die Weizen- und Wollmärkte auch Investoren an. Die Kalkutta-Börse bekommt jede Menge Steuern aus Sydney, aber vielleicht raubt irgendein Spekulant die reichen Siedler in New South Wales einfach aus.«
Rhia setzte die verschiedenen Versatzstücke zusammen. »Aber ich dachte, der Kaiser von China hat den Opiumhandel für gesetzeswidrig erklärt.«
Dillon schüttelte angewidert den Kopf. »Das macht keinen Unterschied. Die Geschäfte werden einfach vor der Küste abgewickelt. Man bringt das schwarze Gold, wie es genannt wird, auf ein Versorgungsschiff, das bei Lintin Island im Golf von Kanton vor Anker liegt. Diese Schiffe sind riesig, mit Kampftrupps als Besatzung. Das chinesische Silber zur Bezahlung des Opiums wird auf einem bewaffneten Schiff deponiert und dann auf eine Barke oder einen Klipper umgeladen und nach Kalkutta gebracht.«
Rhia schüttelte den Kopf. »Und was passiert mit dem Silber in Kalkutta?«
»Meistens werden Wechsel dafür ausgestellt. Papiergeld, das in England oder Indien eingelöst werden kann.«
»Aber was, wenn es nicht mehr genug Silber gibt, um einen Wechsel einzulösen?«
Dillon zuckte mit den Schultern. »Dann wird es einen Ansturm auf die Banken geben. Wie Sie wissen, besteht ein Embargo auf jeglichen Handel mit China, also können weder Baumwolle noch Wolle oder englische Schnittwaren exportiert werden, und wir können auch keinen Tee, Seide, Reis, Porzellan und so weiter importieren. Das Silber aus den Opiumverkäufen wird stets dazu benutzt, Tee zu kaufen, weil Silber das einzige Zahlungsmittel ist, das der Kaiser von China akzeptiert.«
Rhia runzelte die Stirn. »Also versorgt China uns mit
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