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Am Horizont das rote Land: Roman (German Edition)

Am Horizont das rote Land: Roman (German Edition)

Titel: Am Horizont das rote Land: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kylie Fitzpatrick
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Er sah demonstrativ zu ihm hinauf und dann sie an. Rhia lachte, doch dann wurde seine Miene plötzlich so ernst, dass sie den Blick abwenden musste. Als er ihr stattdessen seinen Arm bot, war sie sich nicht sicher, ob sie enttäuscht oder erleichtert war.

23
    M AULBEERBAUM
    Rhia studierte die Adresse auf der Visitenkarte. Das Jerusalem Coffee House befand sich in der Lombard Street, was nicht weit entfernt war. Die Handschrift auf der Rückseite war sauber und elegant – eindeutig nicht aus der schiefen und hastigen Feder ihres Onkels. Das orientalische Symbol konnte alles oder nichts bedeuten, und die Zahlen daneben waren so rätselhaft wie eh und je. Sie brauchte auch etwas, um ihre Gedanken von der Tatsache abzulenken, dass Mr Montgomery sich bisher nicht gemeldet hatte.
    Die Straßen waren so feucht und düster, wie sie vom Salon der Cloak Lane aus gewirkt hatten. Als es richtig zu regnen anfing, ließ sich Rhia nur zu gern in das nächste Geschäft locken, bei dem es sich um Cutbushs Curios handelte. Das Schild war fast komplett von Efeu überwuchert, weshalb es ihr vermutlich bisher auch nie aufgefallen war. Der Laden roch nach Pfeifentabak und Feuchtigkeit und war bis unter die Decke mit Spielzeugblechtrommeln, Matrosenmützen, Kupfertöpfen und alten Pears- Zeitschriften vollgestopft. Mr Cutbush besaß einen beeindruckenden Schnauzbart, wenn er auch vom Tabak etwas vergilbt war. Seine Körpermitte war so ausladend, dass es ein Wunder war, dass er sich in seinem Laden überhaupt bewegen konnte, ohne irgendeine seiner gefährlich aufgetürmten Waren umzuwerfen.
    Im ersten Stock lagerten Dinge von besonderer Natur: das Königreich eines Sammlers. Hier gab es Fingerhüte und Briefmarken und Militärinsignien und Pokale mit Monogrammen und, in einer verstaubten Ecke, ein Regal mit antiken Schusswaffen. Rhias Herz machte einen Sprung. Wie viele Händler mit antiken Pistolen gab es wohl in London?
    Mr Cutbush konnte sich nicht daran erinnern, ob er an einen Iren namens Ryan Mahoney irgendwelche Pistolen verkauft hatte oder nicht, aber er erzählte, es sei seltsam, dass sie nachfrage, denn ein keltischer Herr sei da gewesen und hätte eine Menge Fragen gestellt. »Manche davon ziemlich schaurig«, fügte er mit einem Nicken hinzu, das sein Kinn wie Aspik erzittern ließ.
    Rhia sah ihn mit schief gelegtem Kopf an. »Wie meinen Sie das, ›schaurig‹?«
    »Na ja, so in Richtung: ›Was für eine Art Wunde würde diese oder jene Waffe hinterlassen, wenn sie aus nächster Nähe abgefeuert würde, im Vergleich zu einer gewissen Entfernung?‹«
    »Und konnten Sie ihm eine Antwort geben?«
    »Aber natürlich, Madam. Ich biete keine Güter an, über die ich nicht ein wenig Bescheid weiß, und es ist wichtig, die gefährlichen Eigenschaften von Schwarzpulver zu respektieren.«
    »Hat der Herr Ihnen seinen Namen genannt?«
    »Hat er nicht. Ich würde ihn jedoch wiedererkennen. Er besaß eine wilde Mähne und war gekleidet wie ein Schauspieler.«
    »Wie lange ist das her?«
    Mr Cutbush sah zuerst verwirrt und dann unsicher drein. »Jetzt haben Sie mich erwischt. Es könnte letzte Woche oder vergangenen Juli gewesen sein. Da taugt mein Gedächtnis nicht viel …«
    Es klang, als hätte Mr Dillon Erkundigungen nach Schusswaffen eingezogen, aber wann und warum?
    Rhia verließ den Kuriositätenladen und war tief in Gedanken versunken, als ein Karren durch eine Pfütze rumpelte und sie mit dreckigem Matschwasser bespritzte. Heute sehnte sie sich danach, mit Epona die Landzunge entlangzureiten, wo es keine vorbeifahrenden Karren oder Schornsteinkästen gab und auch keinen plötzlichen Schmutzwasserregen von Fenstern in den oberen Stockwerken. Sie bog in eine ärmliche Gasse mit Webercottages ab, die ihrer Einschätzung nach in die Lombard Street münden musste. Die Straße lag verlassen und düster da. Durch ein vorhangloses Fenster konnte sie ein Zimmer erkennen, das fast kein Mobiliar enthielt. Eine Frau und ihre dünne Kinderschar kauerten über ihren Näharbeiten beisammen, vermutlich um sich zu wärmen. In Greystones waren die Weber auch arm, aber es gab immer ein Bündel Holzscheite für ein Feuer und etwas Eintopf auf dem Herd. Es gab immer jemanden, wie ihre Mutter, der sich kümmerte.
    Weben war einst ein geachtetes Handelsgeschäft gewesen und ein Handwerk, mit dem man einen anständigen Lohn erwirtschaften konnte. Wenn die Maschinen imstande waren, Stoff herzustellen, wie viele andere Handwerkszweige würden sie denn

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