Am Horizont das rote Land: Roman (German Edition)
beherbergten. Die gesamte Gegend lag verlassen da, aber er kannte jemanden, der sonntags arbeiten würde, als wäre es ein Tag wie jeder andere.
Calvin Hughes saß, wie Michael erwartet hatte, auf der Veranda des letzten Hauses, von wo aus ein Stück Sand zum flaschengrünen Wasser hinunterführte. Er rauchte eine Fischbeinpfeife und hatte die Füße in den Stiefeln oben aufs Geländer gelegt und den Stuhl bedenklich weit nach hinten gekippt. Seine offizielle Uniform aus blauem Serge-Stoff hatte er aufgeknöpft, und seine schwarze Polizeimütze lag neben dem Stuhl auf dem Boden.
»Guten Abend, Cal.« Der Stuhl erzitterte einen Augenblick lang, als der Polizist erschrocken mit einem Knall die Stiefel auf den Boden donnerte. »Verdammt, Michael! Jetzt hast du mich aber erschreckt!«
»Darf ich mich zu dir gesellen?«
»Aber verdammt gerne doch. Wie wär’s denn mit ’nem
Tee?«
»Nein, danke, Kumpel. Für mich wird es anscheinend zur Gewohnheit, den Sabbat mit Maggies Importiertem zu weihen. Da wäre es eine Schande, zu früh wieder nüchtern zu werden.«
Calvin lachte leise und paffte seine Pfeife. Mit einem zufriedenen Seufzer ließ er den Blick über den verlassenen Strand schweifen. »Kein Schwein unterwegs. Vor ’ner Weile hatte ich ein paar schwarze Kerle, die in ’ner Sandgrube einen Waran gebraten haben. Sehe sie zurzeit nicht mehr oft hier an der Küste. Haben mir auch ein Stück abgegeben. Schmeckt irgendwie nach Fisch, aber dann doch nach Geflügel. Verdammt anständig von ihnen, musste ich denken, wo wir doch solche Mistkerle sind.«
»Die wissen eben, wer du bist.«
»Sie wissen zumindest, dass dieser Küstenabschnitt sicher ist, und dass, solange ich noch schnaufe, hier keine Schwarzen abgeknallt werden. Also was bringt dich in mein Revier, Michael?« Calvins »Revier« war das Hafenareal, einschließlich des Zolls und der Sträflinge – die größte Anzahl der Neuankömmlinge in der Kolonie. Er hatte etwa ein halbes Dutzend handverlesene Polizisten unter sich, bei denen es sich, genau wie bei ihm, um die Anständigsten der Truppe handelte. Calvins Hafenautorität war eine Oase der Menschlichkeit in einer Wüste des Elends. Trotz all der modernen Projekte war Sydney für die meisten seiner Einwohner immer noch ein Gefängnis. Die unterschwellige Verbitterung war stets präsent.
Calvin war ungefähr im selben Alter wie Michael und seit bald dreißig Jahren in Sydney. Seine Entsendung in die Kolonie war ursprünglich nur vorübergehend gedacht gewesen, und er hatte auch nur widerwillig zugestimmt. Doch dann war er der rohen Schönheit des Ortes verfallen und hatte, da er in London weder Familie noch eine Liebste besaß, beschlossen zu bleiben. Er hatte alles gesehen: die Massaker und den Hunger und die »China«-Flüchtigen. In den Anfangszeiten war eine Reihe von Ausbrüchen von der seltsamen Annahme inspiriert worden, dass nordwestlich der Ansiedlung ein Fluss Australien von China trennte. In der Vorstellung der verzweifelten Iren barg das riesige Land jenseits des Flusses alles, wonach sie strebten: Freiheit, Güte, Tee und Zivilisation. Vor allem aber waren sie auf Frauen aus. Von den paar hundert, die die Reise nach »China« unternahmen, überlebten nur wenige. Und menschliche Knochen säumten immer noch die Route, die sie genommen hatten. Sie dienten als Warnung für andere, dass das australische Hinterland noch viel unerbittlicher war als das britische Gesetz.
»Wie immer treibt mich die Neugier her«, erwiderte Michael.
»Ach?« Calvin nahm die Pfeife aus dem Mund und legte den Kopf schief. »Du hast was für mich?«
Die beiden Männer hatten eine Abmachung. Calvin übersah großzügig alle harmlosen Gesetzeswidrigkeiten, bei denen Michael seine Hand im Spiel hatte, und zum Ausgleich informierte der Ire die Hafenbehörde über kriminelle Aktivitäten, die nicht in die Kategorie »harmlos« fielen.
»Bin mir nicht sicher. Es ist teuflisch still unten bei den Rocks.« Michael hatte beschlossen, das, was Maggie ihm erzählt hatte, fürs Erste noch zurückzuhalten, da der Grat zwischen den Dingen, die Calvin ignorieren konnte oder auch nicht, ein schmaler war. Mick the Fence war der Polizei von Sydney wohl bekannt, aber er war auch berühmt für seine Professionalität und unfehlbare Vorsicht. Wenn er da was am Laufen hatte, dann konnte man sicher sein, dass es klug und einfallsreich war und dass er sich selbst die Finger nicht schmutzig machen würde. Da war es sinnvoller, den Hafen
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