Am Horizont das rote Land: Roman (German Edition)
etwas gänzlich anderes.
27
B ORDEAUXROT
Antonia saß am Tisch und genoss die Stille und Feierlichkeit einer sauberen Küche. Weißes Sonnenlicht wurde vom Messing des Herdes reflektiert und spiegelte sich im Boden, der so heftig poliert worden war, dass er einer reglosen Wasseroberfläche glich. Wie passend, dass Sauberkeit und Gottesfurcht miteinander in Verbindung gebracht wurden.
Der Kessel ratterte auf dem Herd, kurz vor dem Kochen. Zuerst Tee und eins von Beths Gewürzbrötchen, dann würde sie sich ans Weihnachtsessen machen. Die Gans hing seit drei Tagen in der Speisekammer, was, laut Beth, ihren Geschmack verbesserte. Beth hatte am Abend zuvor die Hauptarbeit an dem Vogel bereits verrichtet: Sie hatte ihn gerupft, den Kopf abgeschnitten und das Tier aufgespießt. Ihre erste Aufgabe war nun die Zwiebel-Salbei-Füllung, und danach würde sie sich um das Gemüse und die Soßen und, zum Schluss, um die Brandybutter für den Pudding kümmern.
Rhia kam geräuschlos in die Küche. Sie war sehr gut darin, unbemerkt einen Raum zu betreten. Sie war noch nicht angekleidet und ihr Haar nicht zu Zöpfen geflochten. Es hing ihr schwer über die schmalen Schultern und über das wollene Nachtgewand. Offensichtlich war sie überrascht, Antonia zu sehen.
»Guten Morgen! Ich dachte, außer mir ist noch niemand auf. Ich hätte mich anziehen sollen …«
»Guten Morgen, Rhia. Ich bin aufgestanden, um das Feuer anzuzünden und dachte, ich sorge dafür, dass ich jede Menge Zeit fürs Weihnachtsessen habe. Es ist Jahre her, seit ich das letzte Mal allein in der Küche stand.«
»Nun, Sie brauchen nicht ganz allein zu sein«, erklärte Rhia mit einem Zwinkern. »Ich bin keine schlechte Köchin, nur eine ungeschickte, laut meiner Mutter.«
Antonia lachte und stand auf, um den Kessel vom Herd zu nehmen. Sie goss Wasser in die Teekanne und spürte, wie Rhia sie dabei beobachtete. Antonia vermutete, dass sie gern etwas fragen wollte, sich aber nicht sicher war, ob es sich schickte.
»Ich habe über das Porträt nachgedacht …«, begann sie. Antonia hielt den Atem an. Rhia sah ihr direkt ins Gesicht. »Sie haben gesagt, Sie hätten ein Porträt von einigen Herren in Ihrem Garten gemacht – Kollegen Ihres Mannes. War mein Onkel einer von ihnen?«
Antonia schwenkte die Teekanne. Sie bezweifelte, dass Rhia Angst davor hatte, das Gesicht der Toten zu sehen. »Ja«, antwortete sie.
»Welche Art von Geschäften hat er denn mit Ihrem Mann gemacht?«
Antonia zögerte. Sie war immer noch dabei, sich die Teile nach und nach anhand der Buchhaltung und den Schiffsdokumenten zusammenzusetzen. »Die Herren auf dem Porträt planten ein gemeinsames Unternehmen. Mit Stoffen aus Mischfasern, glaube ich, obwohl Handelsverbünde hier in der City normalerweise nicht gerne gesehen werden. Sie haben in zwei schnelle Segelschiffe investiert, die Mathilda und die Sea Witch …« Rhia blickte auf ihre Tasse und hörte nicht wirklich zu.
»Das Porträt … werden Sie …?«
»Bald«, erwiderte Antonia.
Rhia nickte. »Als ich oben die Darstellungen zum Leben erwachen sah, war das ein bisschen … unheimlich.«
»Es ist eine außergewöhnliche Erfahrung, dabei zuzusehen«, stimmte Antonia ihr zu. »Natürlich, ein schlummerndes Bild zu enthüllen, indem man es dem Licht aussetzt, ist heikler …« Bei der Vorstellung, das Bild zu entwickeln, wurde sie ein wenig atemlos. Warum hatte sie solche Angst?
Rhia beobachtete sie aufmerksam und voller Mitgefühl. »Sie werden spüren, wenn der richtige Zeitpunkt gekommen ist.« Rhia streckte die Hand über den Tisch hinweg aus und berührte sanft die von Antonia.
Der Vormittag in der Küche verging dank der Gesellschaft schnell, auch wenn Rhia nicht geschwindelt hatte, was ihre ungeschickten Kochkünste betraf. Antonia schickte sie den Tisch decken, nachdem sie sich an einem Gemüsemesser geschnitten und die Apfelsoße umgestoßen hatte.
Laurence kam um halb elf in der Hoffnung auf Frühstück herunter. Er litt sichtlich unter den Ausschweifungen des vergangenen Abends, doch seine angeborene Fröhlichkeit behielt die Oberhand.
»Frohe Weihnachten, Antonia! Zwischen den vielen Töpfen ist nicht zufällig ein Kaffee dabei?«
»Doch das ist er, aber ich würde vorschlagen, du schenkst dir selber ein. Wie du siehst, stecke ich gerade etwas fest.« Antonia blies sich eine Haarsträhne aus den Augen und rollte den Teig für die Klöße weiter aus. »Und vielleicht könntest du für mich nach dem Feuer im
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