Am Horizont das rote Land: Roman (German Edition)
gerne, ob Sie wohl Gelegenheit hatten, über meine Mappe nachzudenken, Mr Montgomery?« Rhias Tonfall war kühl und ruhig, was Antonia dann doch beeindruckte.
Er zögerte keine Sekunde. »Das habe ich vor, sobald das Weihnachtsgeschäft hinter uns liegt.« Er hielt inne und sah zu Grace hinüber. »Miss Elliot verlässt uns im Februar, und da werde ich eine Assistentin suchen. Könnten Sie sich vorstellen, im Januar zu uns zu stoßen, mit der Aussicht, ihre Stelle zu übernehmen?«
Falls er die Entwürfe schlicht vergessen hatte, dann hatte er diese Tatsache geschickt überspielt, und Antonia konnte es ihm nicht verübeln. Außerdem klang sein Kompromissvorschlag vernünftig.
»Als Verkäuferin?«
»Als Assistentin, ja. Es wäre ein Anfang, habe ich mir gedacht, und wenn es ruhig ist, gibt es hinten genug Platz, damit Sie an unserer neuen Kollektion arbeiten können!«
»Ich überlege es mir auf jeden Fall.« Rhia lächelte liebenswürdig, aber Antonia konnte sehen, dass sie enttäuscht war. Grace hielt sich nun ganz in der Nähe auf und machte sich an der Organza-Auslage zu schaffen. Sie schien mit dem Vorschlag genauso unzufrieden zu sein wie Rhia. Juliette kaute inzwischen an ihren Fingernägeln herum. Es war Zeit zu gehen.
Sie nahmen den Sack mit Stoffabfällen in Empfang und warteten in der Schlange des Piccadilly-Taxistandes. Wo immer Antonia auch hinsah, schienen die Leute von der Aussicht auf den einzigen Tag im Jahr beflügelt zu sein, an dem selbst die Ladenbesitzer ihre Geschäfte schlossen. Sie verspürte Neid, und das überraschte sie. Wäre Josiah hier, dann hätte sie von den Feierlichkeiten kaum Notiz genommen. Deshalb hatte sie Isaac zum Weihnachtsessen eingeladen und dann nachträglich Laurence gefragt, ob sein Freund Mr Dillon sich ebenfalls zu ihnen gesellen wolle.
Endlich waren sie für einen Hansom an der Reihe, und nachdem sie hineingeklettert waren, sanken sie alle drei dankbar auf die rissigen Ledersitze. Rhia wirkte abwesend, und Juliette, die wenigstens nicht mehr ganz so verängstigt war, kaute immer noch auf ihren Nägeln herum. Ablenkung war vonnöten. »Ich habe mir vorhin überlegt, eine fotogene Zeichnung von der Straßenszenerie zu machen«, verkündete Antonia.
»Das ist eine wunderbare Idee!« Rhias Augen leuchteten auf. »Ist das möglich?«
Juliette sah misstrauisch zwischen den beiden hin und her.
»Nicht, wenn nicht alle auf der Straße ganz still stehen würden, vermute ich leider. Wie schade. Erinnerst du dich noch an das Porträt, das ich von den Herren im Garten gemacht habe, Juliette?«
Das Dienstmädchen nickte. »Das, das nach ganz normalem Papier aussieht, meinen Sie?«, murmelte Juliette mürrisch. Anscheinend konnte nichts sie aus ihrer gedrückten Stimmung reißen. Trotzdem ließ Antonia nicht locker. Sie hatte einmal versucht, Juliette den fotogenen Prozess zu erklären, in der Hoffnung, dass es ihr Interesse wecken würde. Sie aufheitern. Doch Juliette hatte bloß abergläubisch gewirkt.
»Ja, aber wenn ich es dem Licht aussetze, dann werden die Herren, die im Garten so still standen, auf dem Papier erscheinen.«
»Wie durch die Hand eines Geistermalers!«, fügte Rhia hinzu, was Juliette dazu veranlasste, ihr einen finsteren Blick zuzuwerfen. Dann zuckte sie mit den Schultern, als sei es ihr völlig egal. »Meine Mom hat immer gern Porträts angeschaut, auch wenn wir es uns nie leisten konnten, eins machen zu lassen.«
»Fotogene Zeichnungen sind bereits bis in die Kolonien vorgedrungen, also ist es möglich, dass deine Mutter auch schon damit in Kontakt gekommen ist. Laurence hat sogar einen Kollegen in Sydney, und bei den Naturforschern, die dort die Flora katalogisieren, ist die Technik ausgesprochen beliebt«, fuhr Antonia fort. »Mr Fox Talbot ist sogar selbst Botaniker …«
Juliettes Interesse schien kurz aufzuflackern, doch dann richtete sie den Blick aus dem Fenster.
25
B ATIST
Es war eine Erleichterung, nach Hause zu kommen und damit auch Mrs Blakes Geplapper über ihre seltsamen Porträts nicht mehr ertragen zu müssen, ganz zu schweigen von den weihnachtsfröhlichen Menschenmengen. Die Festlichkeiten waren noch beliebter geworden, seit man die Rattenkämpfe und Bärenhatz verboten hatte.
Ausnahmsweise war Juliette froh, dass sie so viel Arbeit hatte. Wenn sie nicht bald ihre Hände beschäftigte, würde ihr blöder Kopf vor lauter Nachdenken womöglich noch anschwellen, wie bei einer Monstrositätenschau. Es gab viel zu erledigen,
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