Am Horizont das rote Land: Roman (German Edition)
Salon und im Speisezimmer sehen, Laurence. Rhia ist im Speisezimmer, und ich bin sicher, sie hat ein Auge darauf, aber du könntest trotzdem noch mal nachschauen.« Laurence salutierte und spazierte dann mit einer Schüssel Milchkaffee hinaus, angeblich eine Pariser Gewohnheit. Er war ganz offensichtlich von Rhia angetan, doch ob seine Zuneigung erwidert wurde, oder wohin eine solche Anziehung führen könnte, vermochte sie nicht zu sagen.
Als die Gans im Ofen und die Küche aufgeräumt war, war Antonia ausgesprochen zufrieden mit sich. Wie wohl das Speisezimmer unter Rhias Obhut gediehen war? Der Tisch war mit dem guten rosafarbenen Porzellan und dem indischen Silberbesteck gedeckt. In der Mitte prangten ein Mistelkranz und ein Kreis aus Kerzen. Ein wenig heidnisch für ihren Geschmack, aber trotzdem hübsch. Sie warf einen Blick auf die Uhr auf dem Kaminsims. Es war fast Mittag – später, als sie gedacht hatte. Es blieb ihr kaum noch genug Zeit, sich umzuziehen und die Haare zu richten.
Die Türglocke erklang, während Antonia sich ankleidete, aber Laurence rief zu ihr herauf, dass er sich als Weihnachts-Butler nützlich machen würde. Als sie hinunter in den Salon kam, unterhielten sich Isaac und Mr Dillon am Fenster, während Laurence und Rhia auf dem Diwan einige fotogene Zeichnungen betrachteten. Laurence war ein ausgezeichneter Butler: Das Feuer flackerte fröhlich, und auf dem Kaminsims stand ein Dekanter mit Bordeaux.
Bildete sie sich das nur ein, oder unterbrachen Isaac und Mr Dillon bei ihrem Eintreten abrupt ihr Gespräch? Antonia hatte das unangenehme Gefühl, dass man ihr etwas verheimlichte. Etwas über Josiah? Sie schüttelte den Gedanken schnell wieder ab. Eine gläubige Frau sollte die liebende Anwesenheit ihres Gatten fühlen, nicht seinen Schatten. Es stand in ihrer Macht, mit der Hilfe von Salz und Silbernitrat sein Gesicht sichtbar zu machen. Das Negativ lag in der untersten Schublade von Josiahs Schreibtisch in einer dicken Wildseidenhülle. Wenn sie es auf diese Weise geschützt aufbewahrte, dann blieb das schlummernde Bild bewahrt. Wie Rhia gesagt hatte, sie würde spüren, wenn der richtige Zeitpunkt gekommen war.
Isaac und Mr Dillon erhoben sich. Sie hatte den Journalisten seit der Beerdigung nicht mehr gesehen. Er hatte offensichtlich den Barbier seither immer noch nicht aufgesucht und schien eine Vorliebe für ungewöhnliche Kleidung zu besitzen. Der Stoff seiner Weste wirkte förmlich antik.
»Es war sehr gütig von Ihnen, mich einzuladen, Mrs Blake«, sagte er. »Ich hätte den Feiertag sonst vermutlich im Keller des Globe bei den Druckern verbracht. Nun habe ich mein Gewissen damit beruhigt, dass ich ihnen einige Flaschen Rotwein und einen Christmas Pudding vorbeigebracht habe.«
»Haben Sie denn keine Familie, Mr Dillon?« Rhia legte wieder einmal schlechte Manieren an den Tag. Oder mochte sie ihn nicht? In ihrem bordeauxroten Samtkleid sah sie absolut bezaubernd aus. Man musste es Mr Dillon zugutehalten, dass er nicht einmal mit der Wimper zuckte.
»Mein Bruder ist kürzlich verstorben, und meine Eltern leben in Snowdonia. Mit der Kutsche ist es ein weiter Weg dorthin, und es wird wohl noch einige Jahre dauern, bis es eine Zugverbindung in den Norden von Wales gibt.«
Antonia nahm einen Schluck Wein und beantwortete Isaacs Frage, wie es mit der für Kalkutta bestimmten Baumwolllieferung aussah. Er wollte gerne lossegeln, sobald die Mathilda aus New York zurück war. Soweit sie wusste, befand sich die Sea Witch immer noch irgendwo in indischen Gewässern.
Mr Dillon hatte dem Raum den Rücken zugedreht und betrachtete die beiden Madonnen, die sie kürzlich über dem Kamin aufgehängt hatte.
»Ich dachte, Ikonographie wäre bei einem solch schmucklosen Glauben wie dem Ihren nicht gerne gesehen, Mrs Blake.«
Isaac lachte. »Solange Antonia die Ikonen nicht anbetet, begeht sie keinen Glaubensbruch.«
Antonia zwang sich zu einem Lächeln. »Das sind Antiquitäten, Mr Dillon, und ich bewundere sie wegen ihrer Kunst.« Insgeheim war sie überrascht, dass er ihren Glauben in Frage stellte, und sie wollte lieber nicht versuchen etwas zu erklären, was sie selbst nicht ganz verstand. Sie wusste nur, dass diese Bilder das verkörperten, was dem Christentum fehlte: Ob es nun eine weibliche Gottheit war oder nur die Gleichberechtigung. Sie sah auf die Uhr, doch es war noch nicht an der Zeit, die Kartoffeln ins Gänsefett zu legen. Rhia studierte immer noch die fotogenen Zeichnungen
Weitere Kostenlose Bücher