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Am Horizont das rote Land: Roman (German Edition)

Am Horizont das rote Land: Roman (German Edition)

Titel: Am Horizont das rote Land: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kylie Fitzpatrick
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damit Beth und sie ihren Dreitageurlaub nehmen konnten. Mrs Blake hatte auf drei Tagen bestanden, was nett war, denn üblich war nur einer. Und sie würde das Weihnachtsessen selber kochen! Juliette hatte Mrs Blake noch nie etwas zubereiten sehen außer einer Scheibe Toast.
    Sie kratzten das Fett von der Herdplatte, wuschen den Ofen mit Essig und Wasser aus und streuten feuchte Teeblätter auf die glühenden Scheite, damit sich keine Asche auf dem frisch geputzten Herd niederließ. Dann schmierten sie Graphit auf die Messingteile und rieben es anschließend mit einem trockenen Ledertuch wieder ab. Als die Gitter und Schutzklappen und Eisen glänzten, versenkte Beth ihre drallen Arme bis zu den Ellbogen in einem Fass Mehl, um den Rindfleisch-Pudding vorzubereiten, und Juliette ging zum Waschhaus hinaus.
    Dort zündete sie das Feuer unter dem Kupferkessel an, bis das Leinen kochte, und rieb die drei Paar Stiefel, die in einer Reihe warteten, mit Elfenbeinschwarz ein.
    Die Idee ging ihr nicht aus dem Kopf.
    Es wäre eine schamlose Tat – war sie dazu mutig genug? Während sie arbeitete, breitete sich das schlechte Gefühl in ihr aus, schmutzig wie eine Aschewolke, bis sie fast daran erstickte. Sie versuchte, es unter Kontrolle zu bekommen, indem sie Mrs Blakes Stiefel immer heftiger schrubbte, aber dabei kam sie bloß außer Atem. Schließlich ließ sie zuerst die Bürste fallen, dann den Stiefel und klappte auf ihrem Hocker vornüber. Beim Versuch, nicht laut aufzuheulen, musste sie beinahe würgen. Sie zog ein Stück Batist aus ihrer Schürze und stopfte es sich in den Mund, um keinen Lärm zu machen. Beth und Mrs Blake hielten sie ohnehin längst für verrückt. Was die irische Hexe anging, nun, wer wusste schon, was die dachte. Mit diesen Augen konnte die ja alles Mögliche aushecken. So schwarz und tief wie zwei Höllenlöcher, das waren sie. Wusste sie womöglich Bescheid? Was sie im Taxi gesagt hatte, über den Geistermaler , war zu schrecklich gewesen. Sie musste etwas wissen.
    Aber sie durften auf gar keinen Fall je von diesem neuen Einfall erfahren. Dann würde man sie für böse und verrückt halten, und vielleicht war sie das ja auch. Denn wie konnte sie sonst so etwas denken? Juliette holte tief Luft, hob die Bürste und den Stiefel vom Steinboden auf und dachte noch ein wenig über ihre Idee nach. Wie war so etwas in ihren Kopf gelangt? Vielleicht war das elende Licht daran schuld, von dem Mrs Blake immer sprach. Licht war doch bloß Licht: eine Gaslampe, eine Kerzenflamme oder der Morgen, der durchs Fenster kroch.
    Sie kehrte an ihre Schuhputzarbeit zurück und dachte noch ein bisschen nach. Ihr schien es waghalsig und schwierig zu sein, aber es war die einzige Möglichkeit, es sicher zu wissen, so oder so.
    Juliette stellte die Stiefel auf, glänzend wie eine Reihe von Käfern, und seufzte zufrieden. Von morgen an musste sie drei Tage lang nichts anderes tun, als dem Geschwätz von Beth und ihren Schwestern zu lauschen und zum Serpentine-See hinunterzuspazieren, um den Schlittschuhläufern zuzusehen. Sie würde allerdings in der Kirche ein paar zusätzliche Gebete sprechen müssen.

26
    Heiligabend, 1840
    Heute Abend ist London so weiß wie eine Schnee-Eule, und ich sollte glücklich sein, denn man hat mir eine Stelle angeboten. Aber ich verspüre lediglich Enttäuschung.
    Dass ich den Vormittag mit Juliette verbracht habe, macht es auch nicht besser. Sie ist pausenlos düsterer Stimmung. Mrs Blake sagt, es liegt daran, dass sie keine Familie hat – ihr Vater ist gestorben, als sie noch klein war, und ihre Mutter wurde wegen Gelegenheitsdiebstahl deportiert. Ich meinerseits würde fast wetten, dass Juliette selbst irgendeine Art von Schuld mit sich herumträgt. Zumindest verhält sie sich so. Sie kann mich nicht leiden, aber ich kann auch nicht behaupten, dass ich sie besonders mögen würde.
    Wäre Laurence nicht, dann würde ich vor Langeweile inzwischen vermutlich vergehen. Er sieht mich jedoch auf so eine komische Art an, dass ich den Verdacht habe, er könnte eine kleine Schwäche für mich haben. Vielleicht geht es mir umgekehrt genauso, aber es ist schwer, sich sicher zu sein. Wie Du weißt, kann man mir leicht schmeicheln, und ich bin wahrscheinlich auch ein bisschen einsam. Ich habe keine Ahnung, wie man Zuneigung von Hingabe unterscheiden kann. Ich bin mir noch nicht einmal sicher, in welchem Teil des Körpers man Verlangen spüren sollte. Ist es eine Sache des Herzens oder des Kopfes? Oder

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