Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Am Horizont das rote Land: Roman (German Edition)

Am Horizont das rote Land: Roman (German Edition)

Titel: Am Horizont das rote Land: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kylie Fitzpatrick
Vom Netzwerk:
einen Blick zu, die eine ungewöhnlich tapfere Miene aufgesetzt hatte. Die Tatsache, dass Juliette eingewilligt hatte, überhaupt mit nach Millbank zu kommen, war so etwas wie ein Durchbruch. Sie hatte Antonia bisher erst einmal in dieses Gefängnis begleitet und war hinterher tagelang bedrückt und weinerlich gewesen. Sie hatte den Ort sehen wollen, wo ihre Mutter die Monate verbracht hatte, bevor man sie in einen Schiffsrumpf gebracht hatte. Rumpfe war eine passende Bezeichnung für die riesigen, rostigen Kriegsschiffe, die in der Mündung der Themse lagen – für die Marine ungeeignet, aber anscheinend für die Unterbringung überzähliger Krimineller immer noch ausreichend. Eliza Green hatte Glück gehabt, dass sie den schwimmenden Kolossen entkommen und stattdessen deportiert worden war.
    Antonia und Juliette trugen die Dinge, um die Gefangene gebeten hatten, in zwei Stofftaschen. Mary Gardner wollte fingerlose Handschuhe für ihre von Frostbeulen befallenen Hände. Sie sagte, von den endlosen Näharbeiten würden sie so taub, dass sie kaum noch Gefühl darin hatte. Tagsüber waren die Millbank-Frauen mit den verschiedensten Arbeiten beschäftigt, von einfachem Nähen bis hin zur Herstellung von Besen, Bürsten, Teppichen und Matten. Nelly Williams wünschte sich eine Ausgabe des Moses and Son -Katalogs, obwohl sie nicht lesen konnte. Sie sagte, sie mochte die Bilder von Hüten und Handschuhen und prächtigen Kragen, und sollte der Tag auch nie kommen, an dem sie solche schicken Dinge tragen konnte, dann hätte sie zumindest die Freude gehabt, es sich ausmalen zu können. Margaret Dickson hatte um Haarnadeln gebeten und Mrs Blake versichert, dass sie damit nicht irgendwelche Schlösser knacken, sondern ihre Haare richten wollte. Antonia fragte nicht, weshalb ihr das wichtig war, wo sie doch den ganzen Tag allein in ihrer Zelle saß.
    In den Taschen befanden sich auch noch andere Dinge: ein Holzkamm, ein Strang Wolle, eine Papiertüte mit einer Auswahl von Stiefelknöpfen, Wollschals, die von einer der Ladys gestrickt worden waren, etwas hübsches Briefpapier für eine Liebesnachricht und, natürlich, Bibeln. Antonia achtete darauf, den Rücken gerade und ihr Kinn gereckt zu halten, als ihre Schritte durch die dunklen, sich windenden Gänge und schweren schiefergrauen Türen hallten. Sie war hier, um Trost zu spenden, nicht um sich einschüchtern zu lassen. Die Türen fielen krachend hinter ihnen zu, was Juliette jedes Mal zusammenzucken ließ. Trotz der scheinbaren Schlichtheit des Grundrisses barg die Geometrie des Gebäudes ein undurchdringliches Labyrinth, selbst für jemanden, der zuvor schon durch diese Flure gegangen war.
    Schließlich erreichten sie den Nordflügel, einen Bau mit Stahltreppen und einem System von Stegen, die alle drei Ebenen miteinander verbanden. Von jedem Punkt des langen, schmalen Korridors des Gebäudes aus war jedes Stockwerk zu sehen, wo sich lauter identische graue Türen aneinanderreihten. Der Eindruck, der dadurch entstand, war der einer riesigen Voliere, deren gefangene Vögel in winzige Schachteln eingesperrt waren.
    Sie stiegen in den zweiten Stock hinauf, wobei jeder ihrer Schritte auf den Metallstufen der Treppe laut klapperte. Bei dem Geräusch schoben sich einige hölzerne Stäbe durch die Luken in den Zellentüren – die einzige Möglichkeit, wie die Frauen die Wärterin auf sich aufmerksam machen durften. Diese schien es nicht zu bemerken. Antonia kam Millbank immer wie eine befestigte Vorhölle vor. Die eintausend Insassen waren aus dem ganzen Land, sowie von anderen Londoner Gefängnissen hierherverlegt worden.
    Margaret Dickson, bei deren Zelle sie zuerst haltmachten, kam aus Manchester und war zu sieben Jahren wegen des Raubs einer Truhe Tee von einer Kutsche verurteilt worden. Es war ein beeindruckenderes Verbrechen als die meisten kleinen Diebstähle, die zu einer Deportation in die Kolonien führen konnten. Die Wärterin hakte einen schweren Schlüsselring von ihrer Schürze ab, und nach einem lauten Klick öffnete sich knarrend die Tür von Margarets Zelle.
    »Reißen Sie sich zusammen, Dickson, Sie haben Besuch von einer Lady.« Juliettes unterwürfiges Auftreten ließ sofort erkennen, dass es sich bei ihr um eine Untergebene handelte, auch wenn beide Frauen gleichermaßen schlicht gekleidet waren. Die Zelle war karg eingerichtet. Eine Porzellanschüssel zum Waschen war mit einem Holzdeckel versehen, so dass sie auch als Hocker benutzt werden konnte. In einer

Weitere Kostenlose Bücher