Am Horizont das rote Land: Roman (German Edition)
Ecke stand eine große irdene Pfanne, und in einer anderen lagen, säuberlich zusammengefaltet, eine braune Hängematte und Bettzeug. Ein an der Wand befestigter Klapptisch war mit Tasse und Teller aus Blech, einem Holzlöffel, einer Tafel und Stift gedeckt. Margaret saß auf einem niedrigen Schemel unter einem kleinen Fenster hoch oben in der Wand, und nähte einen halbwollenen Unterrock, der, zusammen mit einer braunen Schürze aus Serge, die Uniform darstellte, die von allen weiblichen Insassen getragen wurde. Das halbwollene Material war so rau, dass nicht einmal ein Quäker in Erwägung ziehen würde, es als Unterkleid zu tragen.
Als Margaret ihre Besucher sah, hellte sich ihre Miene auf. Sie stand auf, um Mrs Blake auf ihrem Stuhl Platz nehmen zu lassen, und Antonia lehnte nicht ab. Eine Gefangene konnte als Willkommensgeste wenig anderes tun, als den einzigen Schemel in ihrer Zelle anzubieten. Juliette hockte sich auf die Kante des Holzbretts über dem Waschzuber. Die Tür schlug hinter ihnen zu.
»Geht es Ihnen gut, Margaret?« Das war immer Antonias erste Frage, auch wenn ihr die darinliegende Ironie nicht entging. Wie konnte es irgendjemandem an einem solchen Ort gut gehen.
»So gut es einem bei dünnem Kakao und Hafersuppe eben gehen kann, Mrs Blake!« Margaret wirkte weniger stämmig, aber war sonst guter Stimmung. Zwischen den drei Frauen hatte sich eine engere Beziehung entwickelt, seit Juliette das letzte Mal Millbank besucht hatte, da sie alle drei aus dem Norden nach London gekommen waren, wenn auch alle unter ziemlich unterschiedlichen Umständen.
Margaret plapperte fröhlich, als würde sie in die Ferien auf den Kontinent fahren. Man hatte ihr noch nicht gesagt, wohin genau ihre Deportation gehen würde, aber sie würde lieber zu den Kolonien Bermuda oder Gibraltar segeln, weil Sydney doch arg weit weg war. Mindestens drei Monate auf See.
Antonia lauschte und warf Juliette einen kurzen Blick zu, als Margaret sagte, sie hätte wenig Hoffnung, je zu ihrer Familie in Manchester zurückzukehren, sobald sie einmal weg war. Juliette schien jedoch nicht wirklich zuzuhören, sondern fingerte an einer Ecke ihres Schultertuchs herum und sah sich im Raum um, als gäbe es dort etwas zu entdecken. Sie schien angespannt, doch das war nichts Neues.
Nach einer Weile suchte Antonia in ihrer Tasche nach den Haarnadeln, um die Margaret gebeten hatte, und erhob sich dann. Sie erwartete, dass Juliette ihr folgen würde, doch sie blieb sitzen und wirkte nervös.
»Ich würde gerne bei Margaret bleiben, wenn es Ihnen nichts ausmacht, Mrs Blake. Ich bin mir nicht sicher, ob wir uns noch einmal sehen, und ich würde ihr gerne von meiner Ma erzählen, falls man sie nach Sydney schickt.«
»Aber natürlich, Juliette! Was für eine gute Idee. Ich komme dich dann holen, nachdem ich bei Nelly war, in Ordnung?«
»Ja, bitte. Ich hoffe, das macht keine Umstände …«
»Sei nicht töricht.« Beim Gehen fragte sich Antonia, was Juliette wohl mit Margaret aushecken mochte. Sie sollte nicht so misstrauisch sein, sondern hoffnungsvoll. Vielleicht streckte das Mädchen endlich seine Fühler aus, wurde selbstbewusster. Und das konnte doch nur gut sein.
Nelly Williams hatte ein hübsches Gesicht und flachsblondes Haar, was in einem Frauengefängnis wenig von Vorteil war. Da hätte sie genauso gut absichtlich versuchen können, den anderen das Gefühl zu geben, hässlich zu sein. Sogar hier waren Äußerlichkeiten von Bedeutung. Nelly freute sich wie ein Kind über ihren Katalog, und Antonia blieb eine Weile bei ihr, um sich die Pelzmäntel und Satinslipper anzuschauen. Sie versuchte, sich an die Farbtöne zu erinnern, die man gerade auf der Oxford und Regent Street trug, weil Nelly das unbedingt wissen wollte. Antonia fühlte sich bemüßigt, darauf hinzuweisen, dass die in Korsetts Geschnürten und Ausstaffierten meist unglücklich waren, und dass ein hübsches Kleid bald von einem anderen abgelöst wurde. Nelly meinte, sie hätte nichts dagegen, auf diese Art unglücklich zu sein.
Als sie Nelly mit ihrem Katalog aus Träumen zurückließ, fiel Antonia wieder die parfümierte Einladung von Isabella Montgomery ein, die kürzlich eingetroffen war. Isabellas Käfig war zwar gülden und luxuriös, doch sie war nichtsdestotrotz eine Gefangene. So charmant und mildtätig ihr Vater auch war, so war er doch typisch für seine Klasse. Man gestand Isabella auch nicht das kleinste Stückchen Freiheit zu, obwohl sie eindeutig danach
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