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Am Horizont die Freiheit

Am Horizont die Freiheit

Titel: Am Horizont die Freiheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jorge Molist
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kümmerte sich nicht um Joan und lief zu dem Mann, der noch die Kraft aufbrachte, seinem Sohn in die Augen zu blicken. Der Junge kniete nieder und ergriff die Hand des Mannes. Joan wusste ganz genau, was sich die beiden sagen würden. Ein paar Schritte weiter hockte sich Joan nieder, bedeckte das Gesicht mit den Händen und brach in Tränen aus. Kurz darauf übergab er sich und lehnte sich an eine Pinie. Er war das Kind. Und auch der Henker.

76
    A ls die Flut kam, fuhr die Galeere ab und ließ ein menschenleeres und geplündertes Dorf hinter sich zurück. Man hatte zwanzig Frauen und vier Halbwüchsige gefangen. Als Joan fortging, blickte er zu den Bergen, Olivenbäumen, Pinienwäldern und Rohrfeldern hinüber. Er versuchte, die Überlebenden zu entdecken, denn er wusste, dass sie ihn von dort aus beobachteten. Darunter war ein Kind, dessen Gesicht er niemals vergessen würde.
     
     
    »Wir können dreißig Pfund pro Kopf herausholen. Das sind fünfundzwanzig Dukaten«, berechnete der Schreiber. »An diesem Posten verdienen wir genug, um die Kosten der Flotte für mehr als zehn Tage zu decken.«
    Kapitän Perelló nickte zufrieden. Er saß mit Torrent zusammen am Tisch des Kampanjedecks und nahm dessen Bericht über die Operation entgegen. Auf der Bank im Hintergrund des Raums, in der Nähe des Rudergängers, saß gedankenversunken der Admiral.
    Joan stand hinter Torrent. Er wusste, dass sein Verhalten bei dem Zusammenstoß den Offizier enttäuscht hatte und dieser den Vorfall mit dem Kapitän besprechen würde. Doch im Moment kümmerte Joan sich nicht um die Strafe. Seine Aufmerksamkeit galt ganz Admiral Vilamarí. Er hatte geschworen, seinen Vater zu rächen, und er hatte dessen Mörder in der Schänke getötet. Nun begriff er, dass der Einäugige zwar das Verbrechen ausgeführt hatte, Vilamarí aber der wahre Verantwortliche war. Obwohl er es nicht hatte tun wollen, hatte Joan jemanden umbringen müssen, der sein eigener Vater hätte sein können. Der Admiral war schuld an dessen Tod und an dem Schicksal seiner Familie. Er blickte zu diesem Mann hinüber, der nahe an die Fünfzig, energisch und hochmütig war, jedoch oft in seine Gedanken vertieft. Wegen dem, was er seiner Familie und so vielen anderen angetan hatte, verdiente er den Tod. Je länger ihn Joan ansah, desto stärker wuchs die Wut in seinem Innern. Es war ein kalter und deshalb noch tieferer Hass. Er flehte zu Gott, dieser möge ihm eine Gelegenheit bieten, den Admiral zu töten und entkommen zu können. Joan durfte sein Leben nicht vergeuden, ohne dass er zuvor seine Familie gefunden und befreit hatte.
    Plötzlich sah Vilamarí zu dem Tisch hinüber, und sein Blick traf sich mit dem Joans. Sie starrten einander an, und der Junge wusste, dass er in diesem unsagbar langen Moment dem Admiral seine Wut und seinen Hass offenbarte. Der Admiral hielt Joans Blick stand. Sein im Allgemeinen ausdrucksloses Gesicht bekundete zuerst leichte Überraschung, dann glaubte Joan zu sehen, wie seine Lippen ein zynisches Lächeln umspielte. Schließlich hielt Joan es nicht länger aus und wandte seine Augen von dem Mann ab, der ebenfalls wegblickte.
    »Nur ein Fußsoldat wurde von einem Armbrustpfeil an einer Schulter verletzt«, berichtete Torrent. »Wenn Gott will, wird er sich schnell davon erholen. Sobald wir die Arkebuse abgeschossen hatten und der Anführer gefallen war, sind die Übrigen davongerannt. Ich glaube nicht, dass diese Fischer vorher schon einmal einen Arkebusenschuss gehört haben, und das hat sie in Panik versetzt.«
    Als der Offizier den Bericht über den Hinterhalt, die Plünderung des Dorfes und die Gefangennahme der Bewohner abgeschlossen hatte, kam er auf die Angelegenheit mit Joan zu sprechen.
    »Er hat sich wie ein Feigling benommen«, teilte er mit. »Er hat ein schlechtes Beispiel gegeben, und das bedauere ich, weil er mir wie ein tapferer Junge vorkam, als er mit dem Degen übte.«
    »Nun, als Strafe wird er dann öffentlich zehn Peitschenhiebe erhalten«, sagte der Kapitän und blickte Joan anklagend an. Dieser stand aufrecht und erwiderte dessen Blick.
    »Der Junge braucht keine Peitschenhiebe.« Alle blickten zum Admiral hinüber, der sich bisher, so schien es, überhaupt nicht um das Gespräch gekümmert hatte. »Was er nötig hat, ist ein wenig Übung. Beim nächsten Angriff wird er wieder für die Arkebuse verantwortlich sein.«
    Joan wären die Peitschenhiebe hundertmal lieber gewesen. Man würde ihn abermals zwingen, Unschuldige

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