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Am Horizont die Freiheit

Am Horizont die Freiheit

Titel: Am Horizont die Freiheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jorge Molist
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spielt mit mir wie die Katze mit der verletzten Maus, bevor sie sie tötet, aber ich muss ihn vorher töten«, schrieb er endlich.
     
     
    Als die Flottille am Kap Passero vorbeisegelte, fuhr sie zu Joans Enttäuschung nicht nach Neapel, sondern nach Otranto weiter, das fünf Tage vom Kap entfernt war.
    »Das ist ein Freihafen«, erklärte ihm Genís. »Dort machen wir die Sklaven zu Geld.«
    In den Tagen, in denen die Flottille auf dem offenen Meer fuhr, wurde die übliche Ordnung wiederhergestellt, und Joan nahm seine Lesungen aus dem
Verliebten Roland
für die Offiziere wieder auf. Eines Abends sagte der Kapitän zu ihm: »Heute gibt es keine Lesestunde. Der Admiral wird in seiner Kajüte essen, und du wirst ihn beim Essen bedienen.«
    Der Auftrag gefiel Joan nicht. Die Galeere hatte ihre Köche, und diese bedienten die Offiziere bei Tisch. Außerdem hatten der Kapitän und der Admiral gemeinsam einen Diener, der saubermachte und ihre Kleidung und Waffen pflegte, ihnen den Bart rasierte und für alle anderen Bedürfnisse sorgte. Joan verstand nicht, warum er den Dienstboten spielen sollte.
    Die Kajüte des Admirals befand sich unter dem Kampanjedeck. Man gelangte über den Mittelgang zu ihr, musste eine kurze Treppe hinabsteigen und durch einen schmalen Korridor weitergehen, der auch zur Krankenstube führte. Dies waren die beiden einzigen Räume auf dem Schiff, die für Einzelpersonen bestimmt waren. Joan war es nicht gewöhnt, ein Tablett zu tragen. Er legte den Weg äußerst vorsichtig zurück und drückte die Schultern an die Wände des Gangs, damit ihm das Geschirr nicht bei dem Schaukeln der Galeere zu Boden stürzte.
    »Herein«, rief der Admiral, als er klopfte.
    Joan wartete auf einen ruhigen Moment, in dem er die Tür mit einer Hand aufmachen konnte, während er das Tablett in der anderen hielt. Er erblickte ein kleines Zimmer, in dem man den Platz möglichst gründlich genutzt hatte. Auf einigen Kisten befand sich das Bett, und hinten stand ein Tisch, an dem Vilamarí saß und schrieb. Über dem Tisch öffnete sich eine kleine Luke, die zum Heck hinausging und für natürliches Licht sorgte, was den Admiral zwang, sich mit dem Rücken zur Tür zu setzen.
    »Stell das Tablett auf den Sims über dem Bettsack«, sagte der Admiral.
    »Wie Ihr befehlt«, antwortete Joan.
    Doch als er die Anweisung ausführen wollte, sah er einen prächtigen, halb aus der Scheide gezogenen osmanischen Dolch auf dem Bett. Sein Herz krampfte sich zusammen. Er brauchte die Waffe nur an sich heranzuziehen und den Seemann zu erstechen, der ihm in diesem Moment den Rücken zudrehte. Die ganze angestaute Wut, all seine Rachegedanken strömten in seiner Magengrube zusammen. Endlich konnte er seinen Vater rächen! Das war eine einmalige Gelegenheit.
    Seine Hände zitterten, und er stellte das Tablett behutsam auf den Sims, während er berechnete, dass er mit einer schnellen Bewegung den Dolch ganz herausziehen und dem Schurken einen tödlichen Hieb versetzen könnte, bevor dieser reagierte. Eine innere Stimme warnte ihn, wenn er ihn unter diesen Umständen töte, bleibe ihm keine Fluchtmöglichkeit, und er werde auf grausamste Art hingerichtet. Doch in seinem Innern steigerte sich die Wut, zusammen mit einer wilden Freude. Er musste es tun. Jetzt oder nie!
    Er streckte die Hand aus, und sein Blick wandte sich zum Körper des Admirals, während er die Entfernungen abschätzte. Da merkte er, dass dieser nur so tat, als läse er, und dass ein Spiegel an der Heckwand hing, mit dem ihn der Admiral heimlich beobachtete. Die rechte Hand des Seemanns war in seinem Schoß verborgen, und Joan nahm an, dass er in ihr einen Dolch hielt.
    Das war eine Falle! Ganz gewiss fehlte dem osmanischen Dolch die Klinge. Eine falsche Bewegung, und er würde selbst einen Dolchstoß abbekommen. Er spürte, wie sich seine Muskeln verkrampften, dabei trafen sich Vilamarís harter Blick und der seine im Spiegel.
    »Wünscht Ihr noch etwas, Herr Admiral?«, fragte Joan nach einer langen Pause, in der er nicht sprechen konnte. Seine Kehle war dermaßen trocken, dass ihm die Worte beinahe weh taten.
    Die Lippen des Mannes deuteten ein leises Triumphlächeln an, was Joan im Spiegel sehen konnte, und dieser spürte, dass er den anderen noch mehr hasste.
    »Nein. Du kannst gehen.«
    Als Joan auf den Gang hinaustrat, zitterte er von Kopf bis Fuß, und kalter Schweiß ließ ihn mitten im Sommer erschaudern. Der Admiral wusste ganz genau, was er dachte, dass er ihn

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