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Am Horizont die Freiheit

Am Horizont die Freiheit

Titel: Am Horizont die Freiheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jorge Molist
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zu töten! Er wollte schon protestieren, obwohl er wusste, dass es zwecklos war, als ihn der Admiral eindringlich musterte: »Du musst noch viel lernen, Joan Serra von Llafranc.«
    Joan war wie betäubt. Keiner auf der Galeere hatte ihn zuvor so genannt und sein Heimatdorf erwähnt. Ein Dorf, das Vilamarí geplündert und dessen Einwohner er ermordet oder versklavt hatte.
    Er verstand, dass dieser Mann ganz genau wusste, was er tat, als er ihn mit dem Auftrag losgeschickt hatte, mit der Arkebuse auf Unschuldige zu schießen. Bartomeu hatte ihm wohl vom Tod des Vaters und dem Unglück der Familie erzählt, um dessen Herz zu erweichen.
    Vilamarí wusste alles! Ihm war alles vom ersten Augenblick an bekannt gewesen. Und nun spielte er grausam mit ihm, wie eine Katze mit einer verwundeten Maus spielt, bevor sie sie tötet.

77
    I n den nächsten Nächten fand Joan keinen richtigen Schlaf. Auf ihrem Weg zum Kap Passero im Südosten Siziliens überfiel die
Santa Eulalia
zwei weitere Dörfer. Joan vermutete, dass die anderen beiden Galeeren das Gleiche taten. Stets gingen sie nach demselben Muster vor: Eine Abteilung landete heimlich in der Nacht vor dem Überfall in einer entfernten Bucht. Dabei wurde sie von Seeleuten geführt, die aus der Gegend stammten, wobei Joan nicht wusste, ob sie es freiwillig oder unfreiwillig taten. Dann versperrte die Abteilung jenen Dörflern den Weg, die vor dem Angriff der an ihrer Küste landenden Truppen flohen. Die Flotte kam schneller voran als die Nachrichten, und man konnte die Einheimischen stets überrumpeln.
    Für Joan war es eine Qual, diese Szenen immer wieder zu erleben. In den schlaflosen Nächten betete er für seine Familie und für die Unglücklichen, über die sie am frühen Morgen des nächsten Tages herfallen würden, und auch für sich selbst. Und wenn er nicht betete, fluchte er. Er verfluchte Admiral Bernat de Vilamarí, der für all diese Übeltaten verantwortlich war und den er mit seinen eigenen Händen umbringen wollte.
    Er versuchte mit allen Mitteln, die Dörfler nicht zu verletzen. Wenn er die Arkebuse abfeuerte, sobald er sie erblickte, ohne ihnen Zeit zum Angreifen zu lassen, müsste er keinen von ihnen erschießen. Das Krachen des Schusses war das Signal für die Seeleute, die Fischer anzugreifen. Diese wurden von dem Lärm überrascht und flohen schließlich. Die Operation verlief so schnell, dass ihm keine Zeit blieb, die Waffe nachzuladen. Seine übergroße Eile, den Schuss abzugeben, und seine mangelhafte Treffsicherheit missfielen dem Offizier Torrent, weil es den Kampf Mann gegen Mann erschwerte, doch wenigstens könnte er ihn nicht beschuldigen, ungehorsam und feige zu sein.
    In diesen Tagen war Joan nicht in der Lage, etwas in sein Buch zu schreiben. Ihn quälten heftige Schuldgefühle.
    Die gefangenen Frauen sperrte man in dem engen Raum unter dem Bugdeck ein, und in der ersten Zeit schrien sie Tag und Nacht.
    »Du darfst sie nur besuchen und eine auswählen, wenn der Kapitän beschließt, dich für etwas Besonderes zu belohnen, oder wenn du vier Sueldos hast, um es zu bezahlen«, sagte der Steuermann, der seine verzerrte Miene falsch deutete, als er die Schreie hörte. »Torrent lässt sie sehr sorgfältig bewachen, um zu verhindern, dass sie Schlägereien unter den Männern herausfordern oder dass eine über Bord springt. Er und seine Soldaten nehmen das Geld für den Admiral ein.«
    »Jetzt ist er auch noch Zuhälter«, stieß Joan zwischen den Zähnen hervor.
    Er verzweifelte, wenn er die Frauen schreien hörte. Er dachte an seine Mutter, seine Schwester und Elisenda. Er betete für sie und flehte darum, dass sie nicht im Meer ertrunken waren, weil sie versucht hatten, sich dieser Marter zu entziehen.
    Nach zwei Tagen schrien die gefangenen Frauen nicht mehr, vielleicht, weil sie sich mit dem Unvermeidlichen abgefunden hatten. Dies und die Nachricht, dass es keine weiteren Angriffe auf Fischerdörfer geben würde, erlaubte Joan, sich so weitgehend zu beruhigen, dass er schlafen konnte, wenn auch nicht gut. Seine Gedanken nahmen allmählich eine zusammenhängende Form an. Er hatte vieles in seinem Buch einzutragen. »Der Admiral hat alles über mich gewusst«, kritzelte er eines Tages hinein. »Er hat mich meinen eigenen Vater umbringen lassen«, notierte er am folgenden Tag. »Ich war das Waisenkind und zugleich der Henker«, schrieb er ein paar Stunden später. »Was soll ich von dem Admiral lernen? Dass ich Unschuldige töte wie er?« Und: »Er

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