Am Horizont die Freiheit
ihn Felip geringschätzig an.
»Wer glaubst du, dass du bist,
remensa
?«, sagte er schließlich. »Ich lasse dich büßen, was du getan hast.«
Joan hatte diese Antwort erwartet und verlor nicht die Ruhe. In der Nähe stand ein Stock. Joan nahm ihn und schlug mit beiden Händen gegen die Füße des Bretts, auf dem der Strohsack des großen Burschen lag. Ein kräftiger Schlag war zu hören, und Felip heulte auf. Joan erkannte Angst in seinen Augen.
»Ich sehe, dass du die Lektion nicht gelernt hast«, sagte Joan gelassen. »Wenn du es mit mir aufnimmst, töte ich dich.«
Er schlug noch einmal an das Brett, dann entfernte er sich gelassen. Doch er sagte sich, wenn sich der andere erholt habe, müsse er ständig auf der Hut sein und seinen Dolch bereithalten.
Glücklich lief Joan zur Calle Argentería. Als Anna ihn bemerkte, rief er sie mit einer Handbewegung zu sich. Bald danach kam sie mit ihrem Krug aus dem Haus. Sie hatten lange nicht miteinander gesprochen und sich nur von weitem gesehen. Joan sagte: »Ihr müsst Euch nicht mehr vor Felip fürchten. Ich habe ihm eine Lektion erteilt, und er kann Euch nicht mehr schaden. Ihr könnt ohne Gefahr zum Brunnen zurückkehren.«
»Danke, Joan. Aber meine Eltern lassen mich bestimmt nicht wieder raus. Ich werde mich wie heute heimlich davonmachen. Es tut mir leid, aber ich muss auf der Stelle zurück.«
Joan fasste sie an der Hand und küsste sie. Die Wangen des Mädchens erröteten, und sie rannte davon.
39
J oan, hast du das Blattgold benutzt?«, fragte Abdalá.
Überrascht blickte der Lehrling von dem Text auf, den er gerade kopierte. Blattgold bestand aus Goldfolien, die man mit einem Hammer so lange bearbeitete, bis sie dünner als das dünnste Papier waren. Ein Lufthauch ließ sie davonfliegen. Man benutzte es für Bilder und sorgfältig ausgestaltete Anfangsbuchstaben. Es wurde auch in der Buchbinderei für gepunztes Leder bei Deckeln wertvoller Bücher verwendet.
»Nein, Meister. Das habe ich seit einer Woche nicht benutzt.«
»Wie sonderbar!«
»Was?«
»Es ist nicht in dem Kasten, in dem wir es immer aufbewahren.«
»Ich sehe nach.« Joan stand auf und stellte fest, dass der Kasten tatsächlich leer war.
»Du hast es wirklich nicht genommen?«
»Wirklich nicht. Vielleicht haben es die aus der Werkstatt benutzt.«
»Nein, sie hätten mich darum gebeten. Ich bin dem Herrn gegenüber für das Blattgold verantwortlich.«
Der Alte machte ein besorgtes und finsteres Gesicht.
»War es viel?«
»Ja, beinahe im Wert von einem Pfund.«
Joan pfiff überrascht. Der Buchbindermeister bekam außer der Verpflegung ein Pfund im Monat. Das war eine beträchtliche Summe.
»Joan«, sagte der Meister nach einer Weile. »Ich weiß, dass du ein ehrlicher Junge bist, und du weißt auch, wie sehr ich dich schätze. Doch wenn du durch irgendeine Jugendtorheit in eine Notlage geraten bist, sag es mir bitte, und wir werden versuchen, das in Ordnung zu bringen.«
»Ich habe es nicht angerührt, Meister. Ich schwöre.«
Abdalá seufzte.
»Wir bekommen Probleme«, sagte er schließlich. »Man nimmt an, dass nur du und ich Zugang zu diesem Zimmer haben.«
»Nun, gewiss ist noch jemand hereingekommen, als wir nicht da waren.«
»Ja, so wird es sein. Aber ich bin dafür verantwortlich, und man wird uns verdächtigen.«
Die Aufregung, die die Nachricht im Haus hervorrief, war ungeheuer groß. Für die Corrós waren die Handwerker ein Teil der Familie, und sie kümmerten sich um sie so gut, wie sie konnten. Allerdings verlangten sie dafür Ehrlichkeit. Nur jemand, der zum Haus gehörte, konnte das Gold gestohlen haben, und das machte sein Verschwinden äußerst schwerwiegend. Ramón Corró und seine Ehefrau riefen alle im Hof der Werkstatt zusammen, um ihnen den Vorfall mitzuteilen. Ein Pfund war eine beträchtliche Summe, doch der Herr sagte, es wäre ihm lieber gewesen, dass man ihm tausend außerhalb des Hauses als eines innerhalb des Hauses gestohlen hätte.
Etwas, so schien es, war in der Gruppe zerbrochen. Sie senkten den Kopf und sahen sich gegenseitig an, um sich vorzustellen, ob der am nächsten stehende Gefährte der Schuldige sein könnte. Am Ende forderte der Herr den Verantwortlichen auf, sich unter vier Augen an ihn zu wenden, er werde sich nachsichtig verhalten.
Als Joan, nachdem die auf das Mittagessen folgende Pause vorüber war, ins
Scriptorium
hochstieg, traf er dort nicht nur Abdalá, sondern er stieß auch auf den Herrn, den
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