Am Malanger Fjord
Luft wehte vom Meere herauf, und durch den tief dämmernden dunstigen Himmel brach der Mond hervor und machte den Schatten am Hause dichter, wo Stureson nochmals überlegte, was er tun wollte.
»Möglich, daß das boshafte Tier mich belogen hat«, murmelte er vor sich hin, »ja, ich glaube es beinahe, denn welcher Kobold könnte es dahin gebracht haben, daß dies Mädchen, Stolz und Abkunft verleugnend, einem Lappen nachliefe? Aber wenn es so wäre? Kenne sich einer in den Weiberherzen aus! Erzählt nicht schon Ariost, daß eine schöne Königin heimlich das Bett ihres jungen ritterlichen Gemahls verließ, um einen ekelhaften Zwerg allnächtlich zu liebkosen, der sie schlug und biß, während sie weinend ihm zu Füßen lag?!«
Er ging langsam am Hause hin und war mit wenigen Schritten im Schatten der Birkenbüsche an der Felsenwand. Hier stand er still und betrachtete die Fenster des schlafenden Hauses. Kein Ton, der von Leben zeugte, kein Lichtstrahl, keine Bewegung. Leichte Nebel wälzten sich vom Fjord auf und wickelten den kleinen Grasplatz in feuchte Schleier.
»Auf keinen Fall kann mir ein abkühlender Spaziergang schaden«, sagte Stureson, ging zwischen den Gebüschen fort und erreichte nicht ohne Gefahr endlich die hohe Klippe und die Stufen, welche hinaufführten. Einer jener Nebel, die hier urplötzlich kommen und ebenso schnell wieder verschwinden, deckte Wasser und Land zu und wirbelte über den Klippen zusammen. Unten rauschte das Meer und klopfte an die steile Wand, welche senkrecht niederfiel. Stureson trat dicht an den Rand des Abgrundes, kreuzte die Arme und lauschte in die Nacht hinaus auf den hohlen Ton der Flut, auf jeden fallenden Stein und auf das dumpfe Brausen des Wasserfalles in Olafs Tal.
Der Nebel flog um sein Gesicht und feuchtete sein Haar, während das Blut in seinen Adern feurig rollte, sein Hirn von der Masse der starken Getränke brannte und wilde Begierden aufstachelte, welchen er mit wüsten Sinnen nachhing. Mary sollte sein werden, Hvalands Geld wollte er haben. Er rechnete zusammen, was er damit tun könne, welche Zukunft es ihm bieten würde, und während er, lautlos und leise atmend, an der schwarzen Felsenwand lehnte, sah er vor seinen Augen ein sonnenvolles Leben, vor welchem Nacht und Wildnis verschwanden. Endlich setzte er sich in der Höhlung nieder, die Henrik ihm beschrieben hatte. Es war ein Spalt in der Klippe, hinter der Bank in der Tiefe, wo er trocken saß und den ganzen Vorplatz überblicken konnte.
Er wollte ein paar Minuten rasten und dann zurückgehen und fluchte über seine Einfalt, sich von einem Lappen narren zu lassen; doch bevor er seine Vorsätze ausführen konnte, schlossen sich seine Augen, und er schlief auf dem harten Lager ein.
Lange mochte aber dieser Schlaf nicht gedauert haben, als er von seltsamen Tönen aufgeweckt wurde. Im Traume kam es ihm vor, als höre er ein wunderbares Klingen, das süß und leise um seinen Kopf zog und in sein Ohr drang. Lange klagende, sanft erschallende Laute, bald rascher, bald langsamer, lebhafter und heller, und wieder wie ein Hauch hinsterbend und erlöschend. Er schlug die Augen auf und vermeinte, weiter zu träumen. Der Mond stand hell am Himmel und beleuchtete glänzend die öde Felsenlandschaft, die Klippe und ihren Vorsprung. Die düsteren Schatten der hohen Felsen deckten die Bucht zu, während sich dahinter der silberblitzende Schild des Meeres funkelnd ausdehnte. Hvalands Haus lag in der Tiefe wie in Tageshelle, und an den nackten Spitzen der Berge von Senjenöen haftete ein rötlicher Schimmer, das erste Schnauben aus den Nüstern der Sonnenrosse.
Stureson saß unbeweglich und beachtete das prachtvolle Bild nicht. Seine Blicke hingen einzig an der menschlichen Gestalt, welche vor ihm auf und nieder ging. Es war Olaf, er erkannte jeden Zug seines Gesichts. Der Mond beschien ihn in voller Klarheit und umleuchtete sein schwarzes Gewand. Sein langes Haar war von dem schimmernden Licht umflossen, den Kopf hob er hoch empor, und seine blassen Lippen lächelten, während er der kleinen Geige in seinen Händen diese seltsamen und lieblichen Töne entlockte.
Stureson war erstaunt und ergriffen von diesem Anblick. Er blieb in seinem Felsenwinkel sitzen und beobachtete schweigend den nächtlichen Künstler, der unheimlich, spukhaft ihn umkreiste. Wie in den Sagen märchenhafter Zeit die Zauberer und Nornen auf wilden Klippen standen und ihre Hexenlieder sangen, so stand dieser hier und schickte seine bebenden
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