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Am Meer ist es wärmer

Titel: Am Meer ist es wärmer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hiromi Kawakami
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desto unverständlicher wurde es.
    »Wer war das?«, fragte ich wieder.
    Momo schüttelte den Kopf. »Das sage ich dir nicht«, antwortete sie kraftlos. Offenbar hatte sie es satt, sich wiederholen zu müssen, und ich bekam das Gefühl, sie grundlos zu quälen.
    »Wirst du es mir irgendwann einmal sagen?«
    »Ich weiß nicht«, antwortete Momo mit leiser Stimme.
    Sie weiß Bescheid, schoss es mir durch den Kopf.
    Sie hatte keine Ahnung gehabt. Aber jetzt wusste sie Bescheid. Ich empfand Mitleid.
    Früher hatte ich diese Ahnungslosigkeit für bemitleidenswert gehalten. Aber das stimmte nicht. Bescheid zu wissen war viel trauriger.
    Ich legte Momo die Hand auf die Schulter. Sie zuckte ein wenig zusammen, und ich spürte ihren Widerstand, spürte, dass sie das Gewicht meiner Hand nur duldete.
    Die letzten Arbeiten wurden geschrieben, dann kam die Abschlussfeier. Momo war ein ganzes Stück gewachsen.
    Als ich sagte, sie sei nun so groß wie ich, wich sie aus. Wahrscheinlich wollte sie nicht mit mir verglichen werden.
    »Mich hat sie schon vor einem Jahr überholt, stimmt’s?«, rief meine Mutter aus der Küche.
    »Stimmt«, sagte Momo und gesellte sich zu ihr. Besteck klapperte. Leises Gelächter. Durch die Wand konnte ich Momos Lachen nicht von dem meiner Mutter unterscheiden. In diesem Moment erschien die Frau.
    »Bald ist es soweit«, sagte sie. Sie schwebte in der Tür zur Küche. Normalerweise waren die Muster ihrer Kleidung verschwommen, aber heute konnte ich es deutlich erkennen. Sie trug ein anliegendes Kleid mit Sonnenblumen, unter dem sich ihre üppigen Oberschenkel abzeichneten, und auf einer ihrer nackten Zehen war eine große Schwiele, die sehr lebendig wirkte.
    »Was ist bald soweit?«, fragte ich.
    Die Frau schielte. »Dass das Schiff ablegt.«
    »Das Schiff?«
    »Ich hatte dir davon erzählt.«
    Momo und meine Mutter standen nebeneinander, mit dem Rücken zu mir. Momos Rücken war leicht, der meiner Mutter tief gebeugt. Wasser rauschte, und ich hörte, wie etwas gehackt wurde.
    »Hier leben nur Frauen«, murmelte die Frau. Sie neigte den Kopf und drehte sich schwebend in der Hüfte. Das Sonnenblumenmuster auf ihrem Kleid verschob sich.
    Ich musste daran denken, wie Momo dem Laptop einen Jungennamen gegeben und gesagt hatte, es gebe ja sonst kein männliches Wesen in der Familie. Die Momo von damals existierte nicht mehr. Es hatte sie gegeben, aber jetzt gab es sie nicht mehr.
    Wie war das mit meinem Mann? Nach seinem Verschwinden hatte ich ihn nie mehr gesehen und war wie abgeschnitten von ihm. Ich hatte aber nicht das Gefühl, dass er »nicht mehr da« war. Für mich war er »noch nicht da«, weil er vielleicht irgendwann auftauchen würde.
    Nur wer in der Gegenwart präsent ist, dessen vergangene Gestalt kann verschwinden. Wenn jemand jedoch nicht anwesend ist, bleibt sie präsent. Man kann sie nirgendwohin verschwinden lassen. Obwohl die Person gar nicht da ist, verschwindet sie einfach nicht.
    »Das Schiff«, sagte die Frau wieder.
    »Es geht nicht anders. Ich muss fahren. Nach Manazuru«, sagte ich.
    Die Frau verschwand. Im gleichen Augenblick begann es zu regnen.
    Die Regenzeit war vorüber, doch es regnete immer weiter.
    Momo blieb fast die ganzen Sommerferien zu Hause und hörte Musik. Sie stellte den Ton ab und steckte sich Kopfhörer in die Ohren, aus denen hin und wieder rhythmische Geräusche drangen.
    Außerdem schlief sie viel. Wenn ich in ihr Zimmer schaute, weil sie nicht reagiert hatte, als wir sie zum Essen riefen, lag sie meist ausgestreckt auf dem Bett. Ihre gebräunten Beine schauten unter der dünnen Decke hervor, und wenn ich ihren Namen rief, drehte sie sich um.
    In diesen Ferien wuchs sie noch weiter. Wie eine Pflanze, sagte meine Mutter. Vielleicht wegen des Regens? Sie gedeiht gut.
    »Ich fahre nach Manazuru«, erklärte ich meiner Mutter.
    »Wirklich?«, antwortete sie. »Du fährst ziemlich oft dorthin.«
    »Es zieht mich dorthin.«
    Ich entschied mich für einen Termin, ohne Seijis Antwort abzuwarten, und wollte telefonisch ein Zimmer bei den Sunas reservieren.
    Leider ist an dem Tag alles voll, sagte der mutmaßliche Sohn. Ich versuchte es noch bei einigen anderen Unterkünften, aber alle waren ausgebucht.
    Als ich in einem für seine Fischgerichte bekannten Gasthaus anrief, erfuhr ich, dass an dem betreffenden Tag ein Fest stattfand. Zum Schluss fiel mir noch das Strandresort ein, in dem ich mit Momo übernachtet hatte. Ja, wir haben noch etwas frei, hieß es. Ein

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