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Am Meer ist es wärmer

Titel: Am Meer ist es wärmer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hiromi Kawakami
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Einzelzimmer, drei Nächte. Sehr wohl.
    Vielleicht bekam man dort so mühelos ein Zimmer, weil es etwas weiter weg vom Hafen lag?
    »Vier Tage bleibst du?«, fragte meine Mutter, wenn auch nicht gerade vorwurfsvoll, so doch wenig begeistert.
    »Ihr müsst mich jetzt fahren lassen. Tut mir leid«, sagte ich nun auch etwas spitz.
    Immer nur wir drei Frauen im Haus - mit der Zeit erdrückte mich diese Situation. Bisher war ich noch nie drei oder vier Tage fort gewesen. Kein einziges Mal seit Reis Verschwinden und seit wir bei meiner Mutter wohnten.
    »Nimm doch nicht alles so schwer«, sagte meine Mutter mit einem halben Lachen. Ich tat ihr leid. Ihre arme Tochter. Die arme Kei.
    Die ständige Feuchtigkeit hatte den Farbton des Fußbodens vertieft. Meine Lider wurden schwer.
    Am Morgen hatte es noch geregnet, doch inzwischen war es trocken.
    Ich saß links in Fahrtrichtung in einem Zug der Tokaidō- Linie und blickte, einen Arm ans Fenster gelehnt, auf das Meer, das ab und zu zwischen den Häusern und Bergen aufblitzte.
    Es glitzerte, schien wie von unzähligen Schuppen bedeckt. »Tschüss«, hatte Momo mir beim Abschied zugerufen. In letzter Zeit kam es häufiger vor, dass sie sich abwandte, wenn ich sie ansprach. Dann wurden meine Fingerspitzen kalt. Wenn sie sich abwandte. Wie schwach ich doch bin. Dachte ich mit meinen kalten Fingern. Dennoch war Momo süß. Frech, aber süß.
    »Tschüss« - ich hatte ihre Stimme noch im Ohr. Je weiter der Zug vorankam, desto leichter fühlte ich mich. Mein Geist, mein Körper, alles fühlte sich viel leichter an. Warum hatte ich ein Kind bekommen? Davor hatte ich von alldem nichts gewusst.
    Wie auch immer, ich konnte nicht entkommen. Ich musste diese Last tragen. Allerdings war das so schwer auch wieder nicht, eher kompliziert. Umgekehrt hätte man auch sagen können, dass Momo mit mir ihre Last hatte. Das war nicht eindeutig zu entscheiden.
    »Zu viel Eindeutigkeit ist auch öde«, sagte die Frau.
    Überrascht blickte ich mich um und entdeckte sie draußen vor dem Fenster.
    »Du bist aber schnell«, sagte ich. Sie lachte.
    »Nicht besonders. Ich renne ja nicht neben dem Zug her.«
    »Aha.«
    Ich wurde ganz benommen. Durch ihren transparenten Körper sah ich das Meer. Es glänzte wunderschön. Ich liebe Momo. Dachte ich plötzlich. Das Wort Liebe reichte eigentlich nicht aus, aber ein anderes hatte ich nicht. Also dachte ich noch einmal: Ich liebe sie so sehr.
    »Du beschäftigst dich zu sehr mit dem Kind«, sagte die Frau.
    Sei still!, schrie ich im Geiste. Sie lachte, gewann an Distanz und verschwand in Richtung Meer. Die Wasserfläche glitzerte stärker. Manazuru, nächster Halt Manazuru, ertönte die Durchsage.
    Im Hotel hängte ich meine Sachen auf und ließ mich auf das Bett fallen. Müdigkeit überkam mich. Ich muss die Klimaanlage niedriger stellen, dachte ich noch, schlief aber sofort ein.
    Als ich aufwachte, ging bereits die Sonne unter, und der Himmel rötete sich. Obgleich ich über zwei Stunden geschlafen hatte, wurde ich nicht richtig wach. Ich ging auf die Veranda hinaus und lauschte den Wellen. Sie rauschten laut. Es war sehr stürmisch. Als ich den Fernseher einschaltete, hörte ich, wie der Sprecher mehrmals von einem »Taifun« sprach.
    Ich wusch mir das Gesicht, zog mir die Lippen nach und machte mich fertig zum Ausgehen. Schon lange hatte ich nicht mehr allein zu Abend gegessen. Den Weg, den ich beim letzten Mal mit Momo gegangen war, ging ich nun allein. Der Wind zerzauste mein Haar. Ich fühlte mich verzagt.
    Mit der Zeit wurde ich immer verzagter. Früher war es nie so gewesen. Früher hatte mir so etwas nichts ausgemacht. Ob ich allein, zu zweit oder mit mehreren unterwegs war, mir war alles recht gewesen. Jetzt war es anders. Ich gewöhnte mich nicht mehr so leicht an etwas Neues.
    Ich konnte mich nicht mehr spontan umstellen. Mal war ich allein, mal waren wir zu dritt. Kaum hatte ich mich an eine Situation gewöhnt, ging einer fort oder einer kam hinzu, und die Atmosphäre veränderte sich. Die Anpassung fiel mir zunehmend schwerer.
    Ich setzte mich an den Strand und las in Reis Tagebuch. Vom offenen Meer her strebten die Boote der Küste zu. Wo waren sie an einem so stürmischen Tag gewesen? »Ich habe Gewicht verloren«, hatte Rei einige Male eingetragen.
    Hatte er damals abgenommen? Ich konnte mich überhaupt nicht daran erinnern. Dafür erinnerte ich mich sehr gut an unsere Waage. Wir drei - Rei, Momo und ich - lebten in einer kleinen Wohnung.

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