Am Rande der gefrorenen Welt - Die Geschichte von John Sperry Bischof der Arktis
anglikanischen Kirche eingesetzt«, textete die kirchliche Zeitschrift »The Canadian Churchman« in ihrer Aprilausgabe 1974.
Es gibt Männer der Kirche und Männer des Evangeliums. Es gibt auch begnadete Männer, die beides sind. Solche hatten von jeher die Entwicklung der christlichen Kirche in der Nordarktis geprägt, deren Motto lautete: »Serve the living God« (»Dient dem lebendigen Gott«). Die Ernsthaftigkeit, mit der diese Devise von Vertretern dieser Kirche gelebt wurde, führte dazu, dass manche stagnierende Pfarrgemeinde in der Heimat ein neidisches Auge auf die prall gefüllten und freudevollen Gottesdienste der abgelegensten anglikanischen Diözese der Welt warf.
Als John Reginald Sperry ins Bischofsamt gewählt wurde, musste er in die Fußstapfen zweier außerordentlicher Vorgänger treten. Zum einen Archibald Fleming, der Anfang des 20. Jahrhunderts als erster Missionar unter primitivsten und gefährlichsten Bedingungen unter den Bewohnern der Baffin-Insel gewirkt hatte und der erste Brite gewesen war, der ihre Sprache fließend lernte. Dieser Bischof war es auch gewesen, der jenes historische »Ja« zu Jacks und Bettys Heirat gegeben hatte.
Ihm auf den Fersen folgte Donald Marsh, der dem Eskimovolk jahrelang mit unermüdlichem Einsatz diente, bevor die Folgen eines Autounfalls in der Heimat seinem Leben ein tragisches und frühes Ende setzten. Jack war nun sein Nachfolger.
Am 31. März 1974, genau 24 Jahre nachdem der damals neue Bischof Donald Marsh ihm in einer schlichten Ordinationsfeier in Winnipeg segnende Hände aufgelegt hatte, trat Jack auf die Kanzel der überfüllten Kathedrale in Frobisher Bay auf der Baffin-Insel, die in Gedenken an Archibald Fleming gebaut worden war. Frobisher Bay war nun die neue Heimat der Familie Sperry. Die St.-Judes-Kathedrale war ein Bauwerk der Sonderklasse. Von einheimischen Architekten entworfen, glich sie in ihrer Form und Farbe einem riesigen Iglu, von einem Spitzturm gekrönt, der wie ein langer Finger in den Himmel zeigte.
Die Kanzel war aus einem Schlitten gebaut, dessen hinterer Teil im Boden verankert war, sodass die vorderen, nach oben gebogenen Kufen in die Luft ragten und mit einem Pult verbunden waren. Zwei weitere Schlitten standen quer auf der Seite und dienten als Altargeländer. Zwei geschliffene Walrosszähne bildeten das Kreuz, das über dem Altar hing.
Seltsam, wie einem in gewichtigen Momenten des Lebens kleine, nebensächliche Details auffallen. Jacks Blick fiel auf die Liedtafeln, die aus alten Schneeschaufeln gemacht waren, und dachte schmunzelnd an Iglu-Gottesdienste, bei denen das Dach anfing zu schmelzen und genau solche Schaufeln herbeigeholt wurden, um den Schaden in Sekundenschnelle zu reparieren.
Auf allen Seiten von der ausdrucksstarken Symbolik seiner eigenen Lebensberufung umgeben, blickte Jack in die Pressekameras, die vor ihm aufgereiht waren, und verlieh mit bewegter Stimme und zum ersten Mal vor einer breiten Öffentlichkeit der Leidenschaft Ausdruck, die seit Jahren schon die Triebkraft seiner Seele war.
»Die Zeiten ändern sich rasant, meine Damen und Herren. In unserem Teil der Erde mehr als in jedem anderen. Aber das Mandat der Kirche von Jesus Christus ändert sich nicht. Dieses Mandat lautet: Mit unverändertem prophetischen Feuer die erlösende Liebe von Jesus in jeder Nation zu jedem Moment der Weltgeschichte zu verkündigen. Diese Botschaft besitzt heute die gleiche Kraft wie zur Zeit der ersten Apostel, die in dieser Kraft ›den Erdkreis aufgewiegelt haben‹. Sie besitzt die gleiche Kraft wie vor zwei Generationen, als ihre bewegenden Wahrheiten von meinen Vorgängern zum ersten Mal zu den Völkern im Norden getragen und mit Freude aufgenommen wurden.«
Er blickte auf ein Meer konzentrierter Gesichter. In der ersten Reihe saßen seine Frau und seine Kinder, nach wie vor die wichtigsten Stützen seines Lebens. Zahlreiche Inuit-Freunde, überzeugte Christen, die selbst tragende Säulen in Gemeinden überall in der Arktis waren, blickten mit feuchten Augen nach vorne. Missionare und Pastoren aus den weitverstreuten Stationen seiner neuen Diözese waren angereist. Den Erfolg dieser Männer und Frauen zu fördern sollte ab jetzt seine wichtigste Aufgabe sein. Die Geschichte von Coppermine sollte zur Geschichte jeder Gemeinde in der Arktis werden.
Jack holte tief Luft und setzte wieder an: Ȇberall, wo Christus in der Kraft des Heiligen Geistes proklamiert wird, folgt der Triumph der Gnade und der Bau von
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