Am Rande der gefrorenen Welt - Die Geschichte von John Sperry Bischof der Arktis
Möglichkeit zur weiterführenden Bildung bestand, stellte sich die wichtige Frage, wie die Zukunft der Kinder aussehen sollte. Gleichzeitig hatten Jacks Errungenschaften ihm weit über die Grenzen Kanadas hinaus Anerkennung eingebracht. Viele Copper-Inuit waren inzwischen stolze Besitzer kleiner Bücher, in denen sie die Evangelien und die Apostelgeschichte wie auch Psalmen, Gebete und Choräle in ihrem eigenen Dialekt lesen und lernen konnten.
So kam es, dass die höchsten Gremien der anglikanischen Kirche ihre Augen auf Jack als Anwärter für größere Aufgaben warfen. Die Kenntnisse der Inuit-Kultur und -Sprache, die er sich in Coppermine angeeignet hatte, sollten nun einer breiteren Öffentlichkeit dienen. Kein Brite oder sonstiger Ausländer vor ihm hatte sich die Sprache der Arktis in dem Maße zu eigen gemacht wie Jack Sperry. Gerade in der Zeit des Umbruchs sollte er andere Missionare ausrüsten, um den Inuit zur Seite stehen zu können.
Und so ging der Entscheidung, Coppermine zu verlassen, ein langes und intensives Ringen voraus.
»Immer wieder müssen wir lernen, dass es um ihn und seinen Willen geht und nicht um uns und unser Glück«, schrieb Jack in sein Tagebuch. »Selbst der Dienst am Evangelium kann sich schleichend zu einer Art Selbstverwirklichung entwickeln. Unsere erste Frage in allem muss bleiben: Was will der Herr und was braucht sein Volk?«
Jacks und Bettys Schlussfolgerung war, dass sie ihren geliebten Eskimos in dieser entscheidenden Periode ihrer Geschichte von einem zentraleren Ort aus besser helfen konnten.
Die kleine Stadt Fort Smith, an der südlichsten Grenze der Northwest Territories am Great Slave Lake gelegen, schien als nächste Station der Familiengeschichte ideal. Von hier aus sollte Jack nicht nur Coppermine, sondern als reisender Vertreter der Kirche und als Multiplikator auch andere Missionsstationen in der gesamten Arktisdiözese besuchen, im Wissen, dass hier auch für seine Kinder eine gute Bildung gesichert war. Gleichzeitig sollte seine Übersetzungsarbeit weitergehen. Die Pfarrgemeinde St. John in Fort Smith suchte einen neuen Pfarrer und würde als Stützpunkt für die größeren Reiserouten dienen, die Jack mit dem Flugzeug statt mit Hund und Schlitten unternehmen würde. So fassten Jack und Betty 1969 mit schwerem Herzen den Entschluss, ihr glückliches Leben in Coppermine nach 19 Jahren hinter sich zu lassen und zurück in die Zivilisation zu ziehen.
»Kannst du wirklich ein Auto fahren, Dad?«
Johnny schaute mit einer Mischung von Skepsis und Staunen auf den kleinen gelben Käfer, dessen stolzer Besitzer die Familie Sperry nun war. Es war ihr erstes Auto.
»Ich hoffe es wohl, Johnny. Du und ich, wir machen zuerst eine Probefahrt, dann dürfen unsere Damen einsteigen. Es wird ein anderes Gefühl sein, als mit einem Schlitten zu fahren.«
»Mit Hunden ist es viel besser«, bemerkte Angela, deren rot geweinte Augen verrieten, dass sie mit dem Umzug bei Weitem nicht so gut klarkam wie ihr Bruder mit seinem optimistischen Temperament. Angela fühlte sich auf einen fremden Planeten versetzt, bis hin zu Kleinigkeiten: Sie fuhren nun auf holprigen Kieselsteinwegen mit dem Auto, sahen statt endlosem Weiß nur Braun und Grün, hatten Bäume und einen Garten um das Haus herum.
»Die Eskimos hier sind keine richtigen Eskimos«, klagte sie nach dem ersten Besuch bei neuen Freunden in Fort Smith.
»Warum nicht?«, fragte Betty.
»Sie essen mit Messer und Gabel. Das ist komisch. Und Eskimos in einem Holzhaus, das passt auch nicht. Ein Auto ist langweilig. Mir fehlen die Hunde. Mit ihnen machte es viel mehr Spaß.«
Nach und nach wurde zwar Angela von den Vorzügen eines Lebens in der Stadt überzeugt. Aber ein Teil ihres Herzens sollte für alle Zeiten den weißen Flächen und Hügeln der Nordarktis und den Eskimos in ihren Schneehäusern gehören. Das Leben dort blieb für sie letztlich die Definition eines »normalen« Lebens. Betty fand sofort Arbeit im Krankenhaus und im örtlichen Gesundheitszentrum.
Das Leben am Puls der Schneehaussiedlungen fehlte Jack unendlich. Mit dem Umzug in eine Stadtgemeinde wurde er zum ersten Mal mit dem Minenfeld der Kirchenpolitik konfrontiert. Schmerzlich vermisste er die Runden im Rauch der Specksteinlampen bei gefrorenem Fisch, dampfendem Tee und um die Bibel herum. Die Geschichten. Das Lachen. Die kollektive Erleichterung, einen Tag mit vollem Magen und Öl in der Lampe überlebt zu haben. Die Seilspiele der
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