Am Rande der gefrorenen Welt - Die Geschichte von John Sperry Bischof der Arktis
Startlöchern«, erzählte Jack. »Voller Stolz zog ich den Schlittenanker aus dem Schnee und brüllte ›Los!‹«
Jacks Zuhörer schmunzelten und ahnten die verhängnisvolle Wende der Geschichte.
»Rob machte den ersten Sprung, zehn Hunde sprangen ihm nach, der gesamte Schlitten setzte sich schwungvoll in Bewegung. Dann machte Rob den Fehler seines Lebens: Er schaute kurz zurück, sah mich da stehen und führte das ganze Gespann in einem breiten Kreis zu mir zurück. Er sprang um mich herum wie ein kleiner Welpe und hüpfte in stürmischer Zuneigung hoch, um mein Gesicht abzulecken, während in der Hundestaffel das heillose Chaos ausbrach.«
»Der arme Kerl wollte dir nur zeigen, wie toll er dich findet«, neckte Sam. »Ich habe dich oft gewarnt, Mr Sperry, dass deine Hunde dich nicht zu sehr liebgewinnen dürfen!«
Eine heitere Stimmung herrschte inzwischen in dem Iglu.
»Und wie ging die Geschichte aus?«, fragte einer der Ältesten.
»Na ja, mein Freund Sam hier krümmte sich so sehr vor Lachen, dass er mir nicht helfen konnte, die verworrenen Leinen wieder zu sortieren und die Hunde in ihre Ausgangsaufstellung zu bringen. Das war fürs Erste das Ende von Robs Karriere als Leithund.«
Bevor er sich schlafen legte, ging Jack noch einmal hinaus zu den Hunden, streichelte jedem über den Kopf, setzte sich zu Rob auf den Schnee, legte seinen Arm um den Hund und redete lange und ernsthaft auf ihn ein.
»Rob wusste, was von ihm erwartet wurde, und lieferte mit Bravour«, notierte Jack eines Abends in sein Tagebuch. »Er scheint sich über seine neue Chance auf eine Karriere als Führungskraft zu freuen, braucht allerdings klare Vorgaben, sonst kommt er auf blöde Gedanken oder lässt sich ablenken. Sam ist fast heiser. Ich entlaste ihn hin und wieder, aber Rob hört besser auf ihn. Die Fahrt läuft monoton und es ist noch nichts aus dem Ruder gelaufen. Wir reden wenig, konzentrieren uns darauf, jeden Tag so viele Kilometer wie möglich hinter uns zu bringen und hoffen, dass das Wetter nicht umschlägt.«
Nach wochenlangem Kräftemessen mit unerbittlichen Naturgewalten, nach schlaflosen Nächten in Eiseskälte und Gefahr, nach mehreren Durchgängen durch jede erdenkliche Achterbahn von Gefühlen stumpften die Emotionen der beiden Männer nach und nach ab.
Gegen Ende der sechswöchigen Reise wurde ihre Belastbarkeit auf Herz und Nieren geprüft. Sie vermieden Gespräche. Zu groß war das Risiko, dass einer eingeschnappt auf irgendeine Kleinigkeit reagierte, zu verzweifelt die Sehnsucht nach der warmen Vertrautheit zu Hause. Nur ein Gedanke füllte beide Köpfe: »Bald haben wir es geschafft!«
Jack träumte von Post von Betty, die auf ihn zu Hause wartete, Sam vom Wiedersehen mit Frau und Kindern.
»Iglugaluit! Iglugaluit!«, brüllte Sam den Hunden zu. Jack wachte ruckartig aus dem erschöpften Halbschlaf auf, der seit der Abfahrt von Nuvuk sein Dauerzustand war.
Rob machte einen Sprung und lief mit frischem Tempo voraus, die anderen neun Hunde folgten.
»Kommen die Hunde nie auf den Gedanken, dass du sie komplett reinlegst?«, lachte Jack.
»Na ja, Rob will zeigen, was er kann«, antwortete Sam. »Solange ich mir selbst einrede, dass wir bald auf eine Iglusiedlung stoßen, nehmen sie es mir ab!«
»Iglugaluit« hieß »Viele, viele Iglus voraus«. Falls die Hunde müde davon wurden, nichtexistente Iglus zu suchen, wechselte Sam zu »Tuktugaluit! Tuktugaluit!«, was »Viele Karibus voraus!« bedeutete. Es gab auch einfachere Anweisungen wie »Jiih« (nach rechts), »Hau« (nach links) und »Whoa« (anhalten). Falls man tatsächlich auf echte Iglus oder Karibus traf, brauchten die Hunde keinen Ansporn mehr, sie sprangen voller Begeisterung los. So auch an dem Tag, als sie nur noch zwei Tagesreisen von Coppermine entfernt waren. Sam rief »Tuktugaluit!«, und es tauchte tatsächlich eine Herde »Tuktugaluit« in der Nähe auf.
»Wir schossen vier Karibus«, schrieb Jack abends, »ganz nebenher. Machte den Schlitten um einiges schwerer. Aber wir waren ja bald zu Hause, und damit haben wir Steaks für den Rest des Winters sicher. Und genug Haut für mindestens ein Zelt.«
Es waren Blitzgedanken, bei Kerzenlicht im Schlafsack ins Notizbuch gekritzelt, später bei Tageslicht kaum lesbar. Die Hunde witterten schon, dass die Reise heimwärts führte. Sie waren aufgeregt und voller Energie, aber auch verspielter und aggressiver als bisher auf der langen Reise.
Rufe aus der Ferne hinter ihnen holten Jack und
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