Am Rande der gefrorenen Welt - Die Geschichte von John Sperry Bischof der Arktis
Sperry.«
»Wir hätten sowieso nichts machen können«, fügte er deprimiert hinzu. »Wenn die Hunde einmal aufeinander losgehen, kämpfen sie bis zum bitteren Ende. Es muss irgendeinen Streit gegeben haben, und sie waren von der langen Reise gestresst. Vielleicht hat Mustang die anderen provoziert. Er war schon immer schnell beleidigt.«
»Es steckt doch ein starker Anteil Raubtier in ihren Genen, Sam.«
Mustang lag inzwischen still und sein Atem wurde flach. Seine Augen waren geschlossen. Ab und zu lief ein kurzes Schaudern durch seinen Körper.
»Er kann nicht mehr laufen, Mr Sperry. Wir müssen jetzt losziehen, sonst erreichen wir Nuvuk heute Abend nicht mehr, und das Hundefutter wird knapp. Willst du es machen oder soll ich?«
Jack nahm ohne ein Wort das Gewehr aus Sams Hand. Sam zog an der Kette, an der die anderen Hunde angebunden waren, und führte sie in sichere Entfernung auf die andere Seite des Iglus. Ein einziger Schuss knallte durch die eisige Luft.
»Heute war der schwierigste Tag dieser Reise« , lautete der knappe abendliche Eintrag in Jacks Tagebuch nach der Ankunft in Nuvuk. In dieser größeren Siedlung übernachteten die Missionare nach der Abendversammlung in einem leeren Iglu, der als Gästehaus diente. Dieses Mal freute sich Jack über die Ruhe und Privatsphäre, die es ihm ermöglichten, den Verlust seines Lieblingshundes zu verarbeiten. Auch die körperliche Anstrengung war nach dem Ausfall des kräftigen Zughundes um einiges gestiegen. In zackigem, eisigem Terrain mussten Jack und Sam sich selbst einspannen und den Schlitten führen.
»Deine Hunde sind deine Mitarbeiter, nicht deine Familienmitglieder«, hatte es in Jacks Handbuch zum Umgang mit Huskys geheißen. »Es ist stets darauf zu achten, dass das Verhältnis nüchtern und distanziert bleibt, damit eine gewisse Professionalität garantiert ist, wie bei einem Vorgesetzten zu seinem Angestellten.«
»Welch ein Blödsinn, so ist eben der Unterschied zwischen Lehrbuch und Realität«, murmelte Jack.
Im Kampf um das Überleben in der Arktis wurde die emotionale Bindung zwischen Hund und Besitzer tief und innig, so existenziell war die gegenseitige Abhängigkeit. Trotz seiner Erschöpfung wälzte sich Jack in seinem Schlafsack hin und her. Die Gedanken und Bilder an Mustangs regungslosen Körper auf dem einsamen See konnte er nicht verscheuchen. Wahrscheinlich war inzwischen nicht mehr viel von dem Kadaver übrig. Irgendein Wolf wird sich freudig auf den frischen Leckerbissen gestürzt haben, dachte er verbittert.
Den Bewohnern von Nuvuk fiel auf, dass Jack seine Geschichten und Predigten nicht mit dem gleichen Pfiff und Humor vortrug wie bei seinem letzten Besuch. Sie hatten von dem Missgeschick auf der Fahrt erfahren und trösteten die Missionare so gut sie konnten, wussten sie doch am besten, was es bedeutete, ein wertvolles Tier zu verlieren.
Am Abend vor der langen Heimfahrt berieten sich Jack und Sam mit den Ältesten des Igludorfs.
»Die Fahrt nach Coppermine ist zu lang mit nur zehn Hunden. Wenn ihr durch einen Sturm aufgehalten werdet, habt ihr keine Chance. Die Hunde werden zu schnell müde werden und ihr könnt unmöglich genug Futter mitnehmen. Nehmt doch einen unserer Hunde«, schlug der Gastgeber vor.
»Das ist freundlich von dir«, antwortete Sam. »Aber unsere Hunde sind nach dem Vorfall besonders gereizt. Ich habe Angst, dass sie einen fremden Hund erst recht angreifen.«
»Oder wir versuchen, Rob als Leithund einzusetzen«, sagte Jack nachdenklich. »Er kann kräftig ziehen und ist seit der Blamage letztes Jahr vernünftiger geworden. Ist es dir aufgefallen, Sam, dass er so etwas wie der Ruhepol war, seitdem wir hier sind? Die anderen mögen ihn.«
»Warum zögert ihr?«, fragte ein Eskimo, der mit Hunden offensichtlich besonders viel Erfahrung hatte. »Vielleicht wartet Rob auf seine Chance, sich zu bewähren! Und Hunde lernen aus ihren Fehlern, manchmal besser als Menschen.«
Die Ältesten hörten aufmerksam zu, als Jack von den drei Welpen erzählte, die er im vorigen Jahr selbst großgezogen hatte. Rob war der quirligste und anhänglichste des Dreierpacks gewesen und zeigte auch vielversprechende Führungsqualitäten, wenn er mit anderen Hunden zusammen war. Teamfähig, gehorsam, stark: ein Arbeitshund wie aus dem Bilderbuch. Bis zu dem Tag, an dem Jack ihn auf einer Reise zum ersten Mal als Leithund an der Spitze hatte arbeiten lassen wollen.
»Alles war bereit, die Hunde eingespannt und in den
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