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Am Rande der gefrorenen Welt - Die Geschichte von John Sperry Bischof der Arktis

Am Rande der gefrorenen Welt - Die Geschichte von John Sperry Bischof der Arktis

Titel: Am Rande der gefrorenen Welt - Die Geschichte von John Sperry Bischof der Arktis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicola Vollkommer
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sich, seine zukünftige Frau in ausführlichen Briefen auf eine Zukunft vorzubereiten, die in keinem einzigen Punkt dem Leben einer normalen Pfarrersfrau ähnelte. Es sollte eine Vorbereitung auf Raten sein.
    Er beschönigte nichts, als er schilderte, wie ein Dorfpfarrer in diesem Teil der Welt lebte, wie er seine Zeit mit Hundefüttern, Eisschneiden, Fischfangen, Karibujagen und -häuten verbrachte und im Winter wochenlang mit Hund und Schlitten unterwegs war, von der Außenwelt komplett abgeschnitten. Nach und nach legte sich seine Angst, dass die Aussicht, diese raue Existenz mit ihm zu teilen, Betty überfordern würde.
    »Ich glaube, sie hat tatsächlich vor nichts Angst«, murmelte er, als er ihre neugierigen Fragen las und sich schon auf eine ruhige Minute freute, um lange Antworten zu schreiben.
    In dieser Hinsicht hatte Jack seine zukünftige Frau unterschätzt. Es sollte nicht lange dauern, bis Betty sich als mindestens genauso zäh und hartnäckig erwies wie er selbst. Auch bei ihr galt die Devise: War eine Sache beschlossen, dann wurde sie durchgeführt, ohne Rücksicht auf persönliche Empfindlichkeiten. Auch wenn ihr anfängliches Interesse am Eskimovolk ohne Zweifel mit ihrer Faszination für Jack Sperry verbunden war, gewann dieses Interesse in seiner Abwesenheit schnell an Eigendynamik. Sie hatte nicht vor, ein Sonderfall zu sein, der mit Samthandschuhen auf die bevorstehende Mühsal vorbereitet werden musste.
    Das zielstrebige Mitdenken des Bischofs der Arktis, den sie nur durch Briefkontakt kannte, half Betty zusätzlich auf die Sprünge. Er würde der Heirat der beiden nichts in den Weg stellen, versicherte er dem Paar. Aber bevor er dieser Verbindung ein befreites und überzeugtes »Ja« geben könne, würde er es Betty ans Herz legen, eigenständig zu prüfen, ob sie in der Lage sei, dem Dauerstress eines Lebens in der Arktis standzuhalten.
    So stand auch Betty auf dem Deck eines Schiffs, das von Liverpool ablegte, anderthalb Jahre nach Jacks Abreise vom europäischen Kontinent. Auch ihr Schiff segelte Richtung Kanada, aber nicht, damit ihr Verlobter sie endlich in seine Arme schließen konnte, sondern um sie in den kleinen arktischen Außenposten Aklavik im Mackenzie-Delta nahe der Grenze zu Alaska zu bringen. Wie viele andere Ortschaften in der Arktis war auch Aklavik ursprünglich ein Handelsposten der Hudson Bay Company gewesen. Das winzige Dorf zwängte sich zwischen einen tief gelegenen Flussarm, einer mit Sumpfland, hochwassergefährdeten Seen und Kanälen durchzogenen, wasserreichen Ebene und einer ungeheuren Menge Schlamm. Eine Idylle war es nicht. Und es stank überall nach Fisch. Einziges auffälliges Gebäude der Ortschaft: das Missionskrankenhaus. Hier sollte Betty ein Jahr lang als Krankenschwester arbeiten.
    »Es war meine Idee, keiner hat mich gezwungen«, versicherte sie ihren bestürzten Eltern, nachdem die Familie MacLaren den kleinen Ort nur mit Schwierigkeit auf einer Landkarte von Kanada entdeckt hatte.
    »Mutter, Vater, ich muss absolut sicherstellen, dass ich es im gefrorenen Norden auf eigenen Füßen und langfristig aushalte, bevor ich Jack mein endgültiges Jawort gebe. Diesen Test muss und will ich alleine bestehen. Ich will nicht als Jacks Anhängsel in die Arktis ziehen. Ich will es machen, weil Gott auch mich dazu berufen hat.«
    Es war Frauenemanzipation vom Feinsten. Ihre Eltern konnten dem nichts entgegensetzen.
    Missionskrankenhäuser waren in den Fünfzigerjahren primitive Einrichtungen, in denen Leben und Tod viel mehr vom Geschick des spärlichen medizinischen Personals abhingen als von technischen Geräten. Letztere waren schlichtweg nicht vorhanden. Trotzdem reisten Einheimische, sowohl Indianer aus dem Süden wie Eskimos aus dem Norden, kilometerweit, um in Aklavik Hilfe zu suchen. Bettys Klientel bestand aus einer Dauerbelegschaft von etwa 100 stationären Patienten. Die meisten waren an Tuberkulose erkrankt. Es war ihr erster Kontakt mit dem Volk, mit dem sie an Jacks Seite den Rest ihres Lebens teilen wollte.
    »So sehr, wie die Menschen mir leidtun, hat Krankheit auch etwas Verbindendes«, schrieb sie an ihren Verlobten. »Es fehlt nie an ernsthaftem Gesprächsstoff noch braucht es eine Aufwärmzeit, um eine Verbindung herzustellen. Ich hätte es nicht besser erwischen können. Diese lieben Menschen haben eine zwingende Not und ich besitze wunderbare Möglichkeiten, diese Not zu lindern.«
    Hier lernte Betty eine Fertigkeit, die ihr in ihrem

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