Am Rande der gefrorenen Welt - Die Geschichte von John Sperry Bischof der Arktis
Bräuche zu erhalten und an die kommenden Generationen weitergeben zu können. Meine Copper-Eskimos wollen einem Gott dienen, der sie in ›der Sprache unserer Herzen‹ anspricht, wie sie es selbst sagen.«
Jacks Argumente überzeugten, die Genehmigung wurde erteilt.
Mit der Kunst, Gedanken und Geschichten nicht nur in eine andere Sprache sondern auch in eine Denkweise und eine Kultur zu übersetzen, war er inzwischen dank seiner zahlreichen Aufenthalte in Iglusiedlungen mehr als vertraut. Jetzt ging es darum, die gesammelten Erfahrungen zu Papier zu bringen und ihnen eine Struktur und eine Ordnung zu verleihen. Für diese Aufgabe war er nicht nur auf die eigenen Erkenntnisse angewiesen, er schöpfte auch aus der Erfahrung vieler Vorgänger, die andere Übersetzungen erstellt hatten, in die Inupiat-Sprache von Alaska zum Beispiel oder die Sprachen von Labrador und Grönland.
»Moderne Übersetzer vertreten seit längerer Zeit das Prinzip der sinngemäßen Übertragung«, schrieb er an seinen Bruder, der die neuen Entwicklungen mit Faszination verfolgte und kein Detail dieses neuen Abenteuers verpassen wollte. »Übrigens, deine Idee reizt mich, dass ich euch für ein paar Wochen in Nigeria besuche und in eurem Gästehaus in aller Ruhe an meiner Übersetzung arbeite. Ich rede mit Betty darüber. Sie ist es gewohnt, dass ich viel weg bin, und behauptet, es herrsche mehr Ordnung und weniger Quatsch im Haus, wenn ich nicht da bin. Aber umso mehr schätzen wir die gemeinsamen Zeiten, auch mit den Kindern. Wenn sie mit meiner Afrikareise einverstanden ist, machen wir beim Heimaturlaub in England konkrete Pläne. Ich freue mich, dass sich unsere Kinder wieder zu Gesicht bekommen. Johnny wird es nicht guttun, von seinen drei hübschen Cousinen verehrt zu werden, aber er freut sich darauf.
Zurück zu der Übersetzungsarbeit. Sinngemäße Übertragung bedeutet, der Inhalt des Textes muss so verfasst werden, dass die örtliche Bevölkerung etwas damit anfangen kann, ohne Rücksicht auf Buchstaben- und wortgetreue Übertragung des Inhalts von der einen Sprache in die andere.«
Jacks Beispiele grenzten manchmal ans Skurrile:
»Die Probleme, denen ich begegne, bieten Stoff für eine Komödie. Wenn du hier wärest, Roy, würden wir endlos lachen. Ein Missionar in Alaska rätselte schon vor 100 Jahren, wie er einem Volk den Begriff eines Gottes vermitteln sollte, das im Grunde genommen gottlos war und kein Konzept eines übermächtigen göttlichen Wesen hatte, auch kein Wort dafür. Rat mal, was er sich ausgedacht hat. Er fragte sich, wer die wichtigste Person im Dorf war. Ihm fiel der ›Umialik‹ ein, der Besitzer des ›Umiak‹. Der Umiak war ein großes Boot aus Tierhäuten und wurde für den Transport von ganzen Familien, Hunden und Ausrüstung in den Sommermonaten verwendet, war also lebenswichtig. Und so fing er das Vaterunser an: ›Umialikput kilangmiitutin.‹ Zum Glück müssen wir heute nicht mehr ›Bootbesitzer unser, der du bist im Himmel‹ beten. Ein Wort für Gott wurde erfunden und ist inzwischen in allen Dialekten akzeptiert.«
Die Übersetzung von »Unser Vater im Himmel« war nur eins von mehreren Problemen, das allein das Vaterunser aufwarf. Wie bittet man Gott um sein »täglich Brot«, wenn man Brot nie geschmeckt hat? Der naheliegende Ersatz war das Wort »Neki « , das damals »Fleisch« bedeutete und heute für jede Art von Essen verwendet wird.
Tiere, die in der Bibel als Metapher für menschliche Eigenschaften dienen, erwiesen sich als ebenso problematisch. Zum Beispiel König Herodes, von Jesus im Lukasevangelium abwertend als »jener Fuchs« bezeichnet. Das Problem: Füchse in der Arktis sind niedliche, harmlose Tiere, die nur Lemminge jagen; sie sind kaum als dunkle Bedrohung geeignet. Der schlaue, rachsüchtige Monsterkönig der Antike wurde im Eskimo-Mund von Jesus letztlich zu einem Bärenmarder, einem Tier, das zwar klein, aber für seine Hinterhältigkeit und Boshaftigkeit berüchtigt war.
Wiedersehen in Leicester
»Die enormen Entfernungen, mit denen wir es in der Arktis zu tun haben, sind hier in Europa kaum vorstellbar.«
Fünf Kinder im Alter zwischen 7 und 12, der ergebene Kern von Jacks Fanclub, saßen in ihren feinsten Kleidern in der ersten Reihe und lauschten dem Vortrag mit großer Aufmerksamkeit und sichtlichem Stolz. Wie die Orgelpfeifen waren sie in bester Manier und durchaus als Vorzeigefamilie geeignet aufgereiht, eine Mutter an einem, die andere Mutter am anderen
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