Am Rande Der Schatten
Euren einfältigen Freund kümmern. Eure Wunden kann man mit weltlicheren Behandlungsmethoden heilen«, sagte Drissa. Dann senkte sie die Stimme: »Der, ähm, König sollte heute Abend erwachen. Warum begleitet Ihr mich nicht nach nebenan?«
Sie öffnete die Tür, und Kylar trat in den Wartebereich. Knirscher hatte sich in einer Ecke zusammengerollt und schlief. Aber direkt vor Kylar stand eine schöne, wohlgeformte Frau mit langem, rotem Haar. Vi. Sie starrte ihn über ein funkelndes Schwert hinweg an. Die Spitze des Schwertes berührte seine Kehle.
Kylar griff nach seiner Magie, aber sie schlüpfte ihm durch die Finger. Er war zu müde. Sie war fort. Er konnte nichts tun, um sie aufzuhalten.
Vis Augen waren rot und geschwollen, als habe sie gerade eine Tortur hinter sich gebracht, obwohl Kylar keine Ahnung hatte, wie oder warum.
Für einen Moment, der sich endlos auszudehnen schien, schaute sie ihn über den Stahl hinweg an. Er konnte den Ausdruck in diesen grünen Augen nicht deuten, aber es war etwas Wildes.
Vi trat drei wohl bemessene, ausbalancierte Schritte zurück, Valdé Docci, der Schwertkämpfer zieht sich zurück. Dann kniete sie in der Mitte des Raums nieder, senkte den
Kopf, zog ihren Pferdeschwanz zu einer Seite und legte das Schwert quer über ihre Hände. Schließlich bot sie ihm die Waffe dar.
»Mein Leben gehört dir, Kylar. Ich unterwerfe mich deinem Urteil.«
55
Sieben der elf Huren hatten das sichere Haus verlassen, um festzustellen, ob sie noch Familien hatten, zu denen sie zurückkehren konnten. Sechs waren weinend zurückgekommen. Einige waren jetzt Witwen. Andere waren von Vätern, Freunden und Ehemännern, die nur Huren und Schande sehen konnten, zurückgewiesen worden.
Kaldrosa hatte den Mut verloren; sie hatte das sichere Haus überhaupt nicht erst verlassen. Aus irgendeinem Grund war sie imstande gewesen, dem Tod ins Auge zu blicken. Sie hatte Burl Laghar entmannt und zugesehen, wie er, an ihr Bett gefesselt, verblutet war, während er in einen Knebel geschrien hatte. Dann hatte sie den Leichnam vom Bett genommen, frische Laken aufgezogen und einen weiteren khalidorischen Soldaten willkommen geheißen. Er war ein junger Mann gewesen, der stets zuerst Sex verlangte und anschließend, wenn es um Prügel und Beschwörungen ging, halbherzig gewesen war. Sie hatte immer den Eindruck gehabt, dass er von sich selbst angewidert war. Sie hatte ihn gefragt: »Warum tust du das? Du findest keinen Gefallen daran, mir Schmerzen zuzufügen. Ich weiß es.«
Er konnte ihr nicht in die Augen sehen. »Du weißt nicht, wie es ist«, sagte er. »Sie haben überall Spione. Deine eigene Familie wird dich anzeigen, wenn du den falschen Scherz machst. Er weiß Bescheid.«
»Aber warum Huren verprügeln?«
»Wir machen es nicht nur mit Huren. Wir machen es mit allen. Es ist das Leid, das wir brauchen. Für die Fremden .«
»Wie meinst du das? Welche Fremden?«
Aber er wollte nicht mehr sagen. Einen Moment später starrte er auf die Bettlaken. Das Blut in der Matratze sickerte durch das frische Laken. Kaldrosa rammte ihm einen Dolch ins Auge. Und die ganze Zeit über, selbst als er blutend, brüllend und zornig hinter ihr hergelaufen war, hatte sie keine Angst gehabt. Doch Tomman gegenüberzutreten, das war zu viel. Sie hatten erbittert gestritten, bevor sie zu Momma K gegangen war. Er hätte sie mit Gewalt festgehalten, nur dass er so schwer verprügelt worden war, dass er nicht aus dem Bett kam. Tomman war immer eifersüchtig gewesen. Nein, ihm konnte Kaldrosa nicht gegenübertreten. Sie würde mit den anderen auf brechen und ins Rebellenlager gehen. Sie wusste nicht, was sie dort tun sollte. Sie waren im Landesinnern und nicht einmal in der Nähe eines Flusses, daher würden Arbeitsstellen für einen Kapitän wohl dünn gesät sein. Tatsächlich würde wohl überhaupt jede Art von ehrlicher Arbeit dünn gesät sein, wenn sie keine Kleider finden konnte, die sie besser bedeckten. Trotzdem, nach den Khalidori würde die Arbeit als Hure für Cenarier vielleicht gar nicht mehr so schlimm sein.
Es klopfte an der Tür, und alle Mädchen zuckten zusammen. Es war nicht das Signalklopfen. Niemand bewegte sich. Daydra nahm ein Schüreisen vom Kamin.
Es klopfte abermals. »Bitte«, erklang eine Männerstimme. »Ich führe nichts Böses im Schilde. Ich bin unbewaffnet. Bitte, lasst mich herein.«
Kaldrosa sprang das Herz in die Kehle. Wie in einem Nebel ging sie zur Tür.
»Was machst du da?«,
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