Am Rande Der Schatten
fragte Kylar.
Vi hatte sich immer noch nicht bewegt. Sie schaute zu Boden.
»Vom Zwang«, bemerkte Momma K. »Hab ich recht?«
»Woher habt Ihr das gewusst?«, fragte Tevor.
»Wenn es in meiner Stadt geschieht, weiß ich es«, antwortete Momma K. Dann wandte sie sich Kylar zu. »Der Gottkönig hat sie mit einer Magie gebunden, die sie zwang, seine direkten Befehle auszuführen.«
»Wie praktisch«, sagte Kylar. Sein Gesicht verzog sich, als er die aufsteigenden Tränen unterdrückte. »Mich kümmert das nicht. Sie hat Jarl getötet. Ich habe sein Blut aufgewischt. Ich habe ihn begraben.«
Momma K berührte Kylar am Arm. »Kylar, Vi und Jarl sind praktisch zusammen aufgewachsen. Jarl hat sie beschützt. Sie waren Freunde, Kylar. Die Art von Freunden, die niemals vergessen. Ich glaube nicht, dass irgendetwas Geringeres als Magie sie dazu hätte zwingen können, ihm etwas anzutun. Ist das nicht richtig, Vi?« Momma K legte Vi eine Hand unters Kinn, sodass diese den Kopf heben musste.
Die Tränen, die ihr übers Gesicht rannen, waren stummes Zeugnis.
»Was hat Durzo dich gelehrt, Kylar?«, fragte Momma K. »Ein Blutjunge ist ein Messer. Ist es die Schuld des Messers oder die der Hand?«
»Beides, und verdammt soll Durzo sein für seine Lügen.«
In Kylars Gürtel steckte ein Messer, aber er hatte die Schneide bereits überprüft. Schwester Drissa hatte es stumpf gemacht, wie er vermutet hatte. Aber sie wusste nichts von den Klingen, die in seinen Ärmeln steckten. Noch konnte sie den Waffen Einhalt gebieten, die seine Hände waren …
Vi sah den Ausdruck in seinen Augen. Sie war ein Blutjunge. Sie wusste Bescheid. Er konnte in der Zeit, die Drissa für ein Blinzeln brauchte, ein Messer herausholen und ihr über die Kehle ziehen. Sollte die Heilerin doch versuchen, den Tod zu kurieren. Vis Augen waren schwarz von Schuld, eine Mischung von dunklen Bildern, die er nicht verstehen konnte. Eine kurze Flut schwarzer Gestalten zog vor seinem inneren Auge vorbei. Ihre Opfer?
~ Sie hat weniger Menschen umgebracht als du. ~
Der Gedanke traf ihn wie ein Hieb in die Magengrube. Die gleiche Schuld. Das gleiche Urteil.
Und der Ausdruck auf ihrem Gesicht zeigte durch die Tränen Bereitschaft. Da war kein Selbstmitleid, kein Leugnen der Verantwortung. Ihre Augen sprachen für sie: Ich habe Jarl getötet, ich verdiene es zu sterben. Wenn du mich tötest, werde ich dir keinen Vorwurf machen.
»Bevor du dich entscheidest, musst du wissen, dass da noch mehr ist«, sagte Vi. »Du warst ein sekundäres Ziel. Nach … nach Jarl konnte ich es nicht tun …«
»Nun, das ist löblich«, bemerkte Momma K.
»… also habe ich Uly entführt, um sicherzustellen, dass du mir folgen würdest.«
»Du hast was getan?«, fragte Kylar.
»Ich habe vermutet, dass du mir nach Cenaria folgen würdest. Der Gottkönig will dich lebend. Aber Schwester Ariel hat mich und Uly eingefangen. Als wir dich fanden, hielt ich
dich für tot. Ich dachte, ich sei frei, also bin ich Schwester Ariel entflohen und hierhergekommen.«
»Wo ist Uly?«
»Auf dem Weg in die Chantry. Uly ist magiebegabt. Sie wird eine Maya sein.«
Es war entsetzlich und doch perfekt.
Uly würde eine Schwester sein. Man würde sich um sie kümmern, sie ausbilden. Kylar hatte Uly Elene aufgedrängt. Elene hatte es sich nicht aus freien Stücken ausgesucht, eine Tochter zu haben, die eher das Alter einer kleinen Schwester hatte. Es war unrecht von Kylar gewesen, sie zu bitten, diese Last zu schultern. Auf diese Weise und mit dem Vermögen, das Kylar für sie zurückgelassen hatte, würde es Elene freistehen, wieder ihr eigenes Leben zu leben. Es war alles logisch.
Ein Zweifel nagte an ihm, dass er nicht so dachte, wie Elene denken würde, doch was das betraf, konnte er nichts tun. Die Entdeckung, dass der Schaden begrenzt worden war - oder etwa nicht? -, entlastete sein Gewissen.
Bei dem Gedanken daran, dass ihre Tochter in die Chantry gebracht wurde, flammte in Momma Ks Augen ein jähes Feuer auf, aber Kylar konnte nicht erkennen, ob es sie erregte, dass ihre Tochter entführt worden war, oder ob sie sich darüber freute, dass ihre Tochter gewiss zu einer bedeutenden Frau werden würde. So oder so, Momma K erstickte die Regung im Keim. Sie würde Fremde nicht wissen lassen, dass Uly ihre Tochter war.
Wenn er dies hier hinter sich gebracht hatte, würde Kylar zur Chantry reisen und Uly besuchen. Er war nicht wütend, dass man sie Vi weggenommen hatte. Wenn überhaupt, stand er
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