Am Rande Der Schatten

nicht abstoßend. Er war kein Mörder; er war der Ersatzvater, der sich mit einer Elfjährigen Kitzelkämpfe lieferte; er war der Geliebte, der Elene sagte, dass sie schön sei, und der es fertigbrachte, dass sie dies zum ersten Mal in ihrem Leben glaubte; er war der Mann, der etwas zu geben hatte.
    Das war der Mann, den Elene sah, wenn sie ihn anblickte. Sie glaubte so viele gute Dinge von ihm, dass Kylar zwischen zwei Möglichkeiten schwankte; manchmal glaubte er es selbst, dann wieder dachte er, dass sie absolut verrückt sei. Aber es fühlte sich großartig an, überzeugt zu werden.
    Morgen würden sie Caernarvon erreichen, und für eine Weile würden sie bei Elenes Tante Mea unterkommen. Mit ihrer Hilfe - sie war Hebamme und verstand sich auf Kräuterkunde
- würde Kylar einen kleinen Kräuterladen eröffnen. Dann würde er Elenes verblassende Einwände gegen Unzucht überwinden, und der Weg der Schatten würde für alle Zeit hinter ihm liegen.

8
    Nach vielleicht zwölf Tagen, vielleicht fünfzehn - oder fühlte es sich nur so an, als seien es so viele gewesen? - ergab Logan sich endlich dem Schlaf. Im Traum hörte er Stimmen. Sie flüsterten, aber in der Steinkammer des Lochs war jedes Flüstern für alle vernehmbar.
    »Er hat ein Messer.«
    »Wenn wir uns alle auf ihn stürzen, spielt es keine Rolle. Seht nur, wie viel Fleisch er auf den Knochen hat!«
    »Still«, sagte jemand. Logan wusste, dass er sich bewegen sollte, dass er nach dem Messer sehen sollte, dass er aufwachen sollte, aber er war so müde. Er konnte nicht bis in alle Ewigkeit wach bleiben. Es war zu schwer.
    Er glaubte, die Stimme einer Frau zu hören, die schrie, obwohl ihr jemand den Mund zuhielt. Ein Schlag folgte, und der Schrei brach ab. Dann war noch ein Schlag zu hören und noch einer und noch einer.
    »Immer mit der Ruhe, Fin. Wenn du Lilly tötest, werden wir dich ausweiden. Sie ist die einzige Möse, die wir haben.«
    Fin verfluchte Sniffles, dann sagte er: »Wenn du noch mal schreist, Miststück, reiße ich dir die Haare und die Fingernägel aus. Die brauchst du nicht zum Ficken. Kapiert?«

    Dann wurde die Stimme schwächer, die Hitze erträglicher, das Heulen und der Gestank ließen nach, und Logan begann wahrhaft zu träumen. Er träumte von seiner Hochzeitsnacht. Er war mit einem Mädchen verheiratet, das er kaum kannte, aber während er in ihrem Schlafgemach redete, genauso nervös wie die schöne Fünfzehnjährige ihm gegenüber, blühte in seinem Herzen jähe Hoffnung auf. Dieses Mädchen war eine Frau, die er lieben konnte, und unerklärlicherweise gehörte sie ihm. Jenine würde seine Gemahlin sein und eines Tages seine Königin, und er wusste, dass er sie lieben konnte.
    Jenine ist tot. Hör auf damit.
    Er sah in ihren großen Augen, dass sie auch ihn lieben könnte, dass ihr Ehebett kein Ort der Pflicht sein würde, sondern ein Ort der Freude. Ihre Wangen röteten sich, als er sie als seine Gemahlin anschaute. Seine Augen forderten sie für sich - nicht arrogant, sondern zuversichtlich und sanft, mit einem Ausdruck, der besagte, dass er sie akzeptierte und sich an ihrer Schönheit erfreute -, und als er sie an sich zog, schmiegte sie sich in seine Arme. Ihre Lippen waren warm.
    Dann, es schien nur eine Sekunde vergangen zu sein, küssten sie einander noch immer, zogen einander noch immer die Kleider aus, und Füße stampften die Treppe hinauf in Richtung ihres Schlafgemachs. Logan zog sich von ihr zurück, und die Tür brach auf, und khalidorische Soldaten strömten in den Raum …
    Logan riss die Augen auf, und seine Fäuste flogen, als Leiber auf ihm landeten.
    Es war ein jämmerlicher Kampf. Logan hatte seit zwei Wochen nichts mehr gegessen, daher war er so schwach wie ein Welpe. Aber die anderen Insassen hatten abgesehen von dem Fleisch, das sie sich vor einigen Wochen einverleibt hatten,
monate- oder jahrelang nur von Brot und Wasser gelebt. Sie waren ausgezehrt, hohle Schatten der Männer, die sie einst gewesen waren, daher gestaltete sich der Kampf langsam und unbeholfen.
    Logan stieß einen Mann von sich und versetzte einem anderen einen Kinnhaken, aber sofort waren zwei weitere da, und ihr Fleisch war glitschig und schlammig von ihrem Schmutz und ihrem Schweiß. Fin landete auf Logans Hüfte, während Jake mit langen Nägeln Logans Gesicht bearbeitete. Logan schüttelte einen anderen Mann ab, rappelte sich hoch und schleuderte Jake von sich.
    Der Mann fiel in das Loch und verschwand.
    Der Kampf war vorüber,