Am Rande Der Schatten
zustürzte, riss Logan es hoch. Zu seinem eigenen Entsetzen starrte er Scab so lange an, bis der Mann sich umdrehte und kehrtmachte.
Logan ging mit dem Bein zurück zur Wand und weinte, denn ganz gleich, wie konzentriert er es betrachtete, er sah nur Fleisch.
9
Verglichen mit Cenaria war Caernarvon das Paradies. Hier gab es kein Labyrinth, keine harte Einteilung in Haben und Nichthaben, keine Besatzungsarmee, keinen Gestank von Asche und Tod, keine leeren Blicke der Verzweiflung. Die Hauptstadt von Waeddryn war unter einer ungebrochenen Reihe von zweiundzwanzig Königinnen gediehen.
Zweiundzwanzig Königinnen. Der Gedanke war seltsam für Kylar, bis ihm klar wurde, dass Momma K seit mehr als zwanzig Jahren über die Sa’kagé und die Straßen von Cenaria herrschte.
»Erklärt Euer Anliegen«, sagte der Torwächter und musterte ihren Wagen. Die Menschen hier waren größer als Cenarier, und Kylar hatte noch nie so viele mit blauen Augen oder mit so leuchtendem Haar gesehen - das gab es in allen Farben, angefangen von fast Weiß bis hin zu feurigem Rot.
»Ich kaufe und verkaufe medizinische Kräuter. Wir sind hergekommen, um eine Apotheke zu eröffnen«, erklärte Kylar.
»Woher?«
»Cenaria.«
Der Wachposten blickte nachdenklich drein. »Wie ich höre, ist die Lage dort wirklich schlimm. Wenn Ihr Euren Laden im Süden der Stadt eröffnet, seid vorsichtig. Da unten gibt es einige raue Viertel …« Er verstummte, als er die Narben auf Elenes Gesicht erblickte.
Schneller, als er es für möglich gehalten hätte, geriet Kylar in Zorn. Elenes Narben waren alles, was ihre ansonsten perfekte Schönheit beeinträchtigte. Ein strahlendes Lächeln, dunkelbraune Augen, die die langweilige Reizlosigkeit des Wortes Braun Lügen straften, Augen, die nur ein Poet angemessen beschreiben und die nur eine Legion von Barden angemessen rühmen konnte, Haut, die darum flehte, berührt zu werden, und Kurven, die es verlangten … Wie kann er bei all dem nur Narben sehen? Aber wenn er etwas gesagt hätte, hätte er damit nur eine Szene heraufbeschworen. Der Wachposten blinzelte. »Ähm, fahrt weiter«, sagte er.
»Danke.« Kylar machte sich keine Sorgen wegen Caernarvons Sa’kagé. Sie beschränkten sich streng auf kleine Verbrechen: Straßenraub, Taschendiebstahl, Prostitution und Wetten auf Hundekämpfe und das Bullenreizen. Einige Bordelle und Spielhöhlen blieben sogar im Geschäft, ohne den Sa’kagé angeschlossen zu sein. Die Straßenbande aus Kylars Kindheit war besser organisiert als das Verbrechen hier.
Sie fuhren durch die Stadt und gafften die Menschen und ihre Umgebung an wie Bauerntölpel. Caernarvon lag am Zusammenfluss des Wy, des Roten Flusses, und des Brombeerflusses, und seine Straßen fassten kaum all den Handel und Wandel sowie die Vielzahl der Menschen, die davon angezogen wurden. Sie sahen olivhäutige Sethi mit ausgeprägten
Gesichtszügen in kurzen Hosen und weißen Roben, rothaarige Ceuraner mit ihren beiden Schwertern und ihrer eigenartigen Mode, vielfarbige Haarlocken in ihr eigenes Haar zu flechten, einige wenige Ladeshi und sogar einen mandeläugigen Ymmuri. Sie machten ein Spiel daraus, wiesen einander verstohlen auf einzelne Personen hin und versuchten zu erraten, wer von wo kam.
»Was ist mit dem da?«, fragte Uly und deutete auf einen unauffälligen Mann in schlichter Wollgewandung. Kylar runzelte die Stirn.
»Ja, lass hören, du Ass«, sagte Elene mit einem koboldhaften Grinsen. »Und du sollst nicht auf Leute zeigen, Uly.« Der Mann hatte keine besonderen Merkmale, keine Tätowierungen. Er trug eine für Caernarvon alltägliche Robe und ebenso alltägliche Hosen, hatte kurz geschnittenes, braunes Haar, keine für Modaini typische Patriziernase, nichts, was ihn irgendwie von anderen abhob; selbst seine leicht gebräunte Haut hätte aus einem halben Dutzend Länder kommen können. »Ah«, sagte Kylar. »Alitaeri.«
»Beweis es«, verlangte Elene.
»Nur Alitaeri sehen so selbstgefällig aus.«
»Ich glaube das nicht.«
»Frag ihn«, sagte Kylar.
Elene schüttelte den Kopf und zog sich mit plötzlicher Schüchternheit zurück.
»He, Master!«, rief Uly, als ihr Wagen an ihm vorbeirollte. »Woher kommt Ihr?«
»Uly!«, sagte Elene gequält.
Der Mann drehte sich um und richtete sich zu seiner vollen Größe auf. »Ich stamme aus Alitaera, durch die Gnade des Gottes die größte Nation in ganz Midcyru.«
»Die Gnade der Götter, meint Ihr«, warf der Waeddryni ein, mit dem er gerade
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