Am Rande Der Schatten
Abscheu, dass er sich beschämt bedeckte. Er wandte sich ab.
»Bei allen Göttern, musst du …«
»Sag es mir.«
Stephan bedeckte die Augen. »Er hat Läufer beauftragt. Sie wussten, dass sie in mein Haus kommen sollten. Manchmal habe ich Bruchstücke mitgehört, aber er war immer sehr vorsichtig. Die wenigen Briefe, die er hatte, verbrannte er, und er ging immer nach draußen, um mit den Läufern zu reden. Aber in der Nacht der Invas…- der Befreiung - holte er einen Läufer, und er schrieb einen Brief.« Stephan schnappte sich eine Robe und hüllte sich darin ein, bevor er zu seinem Schreibpult hinüberging. Er zog einen Bogen ceuranisches Reispapier hervor und reichte ihn ihr. Er war leer.
»Halte ihn ins Licht«, sagte er.
Sie hielt das Papier vor eine Laterne und konnte schwache Abdrücke darauf erkennen. »Rettet Logan Gyre«, stand dort in einer ordentlichen, winzigen Schrift geschrieben, »und das Mädchen und die vernarbte Frau, wenn Ihr könnt. Ich werde Euch so belohnen, dass es Eure wildesten Träume übersteigt.« Statt eines Namens war das Schreiben mit zwei Symbolen unterzeichnet: einem Auge mit schwerem Lid, das einen Stern umschloss, und einem neunzackigen Stern. Das erste Bild war das Zeichen der Sa’kagé; das zweite das Symbol des Shinga. Die beiden zusammen bedeuteten, dass alle Mittel, die die Sa’kagé hatte, dem Empfänger zur Verfügung standen.
»Danach ist er gegangen«, fuhr Stephan fort. »Und nie mehr zurückgekommen. Ich habe ihm gesagt, dass ich ihn liebe, und er will mich nicht einmal sehen.«
»Sein Name, fetter Mann. Nenne mir seinen Namen.«
»Jarl«, antwortete er. »Die Götter mögen mir vergeben, der Shinga ist Jarl.«
In einem ihrer ärmsten sicheren Häuser, das ganz aus Dunkelheit und Ratten und Kakerlaken bestand - wie jedes andere Haus im Labyrinth -, trafen Jarl und Momma K sich mit einem Toten. Er lächelte, als er den Raum betrat. Sein rechtes Bein war an Schienen gebunden, sodass er das Knie nicht beugen konnte, und den rechten Arm trug er in einer Schlinge. Blut war durch den Verband um seinen Ellbogen gesickert. Er hatte eine Krücke, aber statt sie unter den Arm zu schieben, musste er sie in der rechten Hand halten. Die Verletzung an seinem Ellbogen hinderte ihn daran, die Krücke auf der Seite zu halten, die sein Knie verlangte, daher hüpfte er mehr, als dass er humpelte. Er trug das graue Haar kurz geschoren und war auf eine sehnige Altmännerart muskulös, und obwohl sein Gesicht hager und grau war, lächelte er.
»Gwinvere«, sagte er. »Es ist gut zu sehen, dass die Jahre zumindest Euch respektiert haben.«
Sie lächelte, und statt eine Bemerkung über seine Erscheinung zu machen - er sah aus, als hätte er in der Gosse geschlafen, seine feinen Gewänder waren besudelt, und er stank -, sagte sie: »Es ist gut zu sehen, dass Ihr Eure silberne Zunge nicht verloren habt.«
Brant Agon hüpfte zu einem Stuhl und setzte sich. »Berichtet über mein Dahinscheiden und all das.«
»Brant, dies ist Jarl, der neue Shinga. Jarl, dies ist Baronet Brant Agon, der ehemalige Lordgeneral von Cenaria.«
»Was kann ich für Euch tun, Lordgeneral?«, fragte Jarl.
»Ihr seid zu freundlich. Ich bin hergekommen als nur wenig mehr als das, was Ihr seht: Ich sehe aus wie ein Bettler,
und ich bin gekommen, um zu betteln. Aber ich bin mehr als ein Bettler. Ich habe an jeder Grenze gekämpft, die dieses Land hat. Ich habe Duelle ausgefochten. Ich habe Truppen von zwei Männern geführt, und ich habe Feldzüge mit fünftausend angeführt. Euch steht ein Kampf bevor. Khalidor hat unsere Armeen in alle Winde zerstreut, aber die Macht in Cenaria ist die Sa’kagé, und der Gottkönig weiß es. Er wird Euch vernichten, wenn Ihr ihn nicht zuerst vernichtet. Ihr braucht Krieger, und ich bin einer. Blutjungen haben ihren Platz, aber sie können nicht alles tun - wie Ihr vor einigen Wochen gesehen habt, machen sie die Dinge vielleicht nur schlimmer. Ich dagegen kann dafür sorgen, dass Eure Männer tüchtiger werden, disziplinierter und besser im Töten. Gebt mir nur einen Platz und das Kommando über Männer.«
Jarl schaukelte auf seinem Stuhl und legte die Fingerspitzen aneinander. Dann sah er Brant Agon lange an. Momma K zwang sich zu schweigen. Sie war so lange Shinga gewesen, dass es ihr schwerfiel zu riskieren, dass Jarl Fehler machte, aber sie hatte ihre Entscheidung getroffen. Sollte Jarl das Leben und die Macht und die grauen Haare nehmen. Sie würde helfen,
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