Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Am Rande Der Schatten

Titel: Am Rande Der Schatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brent Weeks
Vom Netzwerk:
beinahe mehr, als er zuwege bringen konnte. Das Gleiche zu tun, während er unsichtbar war und mit voller Geschwindigkeit rannte - nun, wenn er irgendetwas hatte, dann war es Zeit, um zu trainieren, nicht wahr?
    Wofür? Zeit, um wofür zu trainieren?
    Der Gedanke versäuerte die Nachtluft, die vom Fluss aufstieg. Die Freiheit, die er empfunden hatte, wehte davon wie Nebel. Er trainierte für gar nichts. Er trainierte, weil er es nicht ertragen konnte, neben Elene zu liegen, während seine Gedanken, seine Gefühle und sein Verlangen in ihm im Wettstreit lagen. Er schwankte zwischen dem Wunsch, ihr die Kleider vom Leib zu reißen und sie grob zu nehmen, und dem Wunsch, sie zu schütteln und anzuschreien. Er fürchtete die Intensität dieser Gefühle, fürchtete die Art, wie sie sich überlappten. Dass er auch nur daran dachte, machte ihn krank.
    Er überwand mit einem Sprung eine weitere riesige Kluft und ein Arm in Arm einherschlenderndes Paar, und er hörte ihre überraschten Ausrufe - ist da gerade etwas über uns hinweggeflogen? -, und er lachte laut, und all seine Gedanken lösten sich im berauschenden Gefühl der Aktion, der Bewegung und der Freiheit auf.
    Als er an einer kleinen Bande vorbeiglitt, die darauf wartete, den nächstbesten Betrunkenen, der ihre Gasse entlangstolperte, in einen Hinterhalt zu locken, war Kylar mit allen Sinne lebendig. Er brauchte nicht einmal seine Kräfte. Er war einfach da, all seine Sinne geschärft, jede Faser seines Seins
gewappnet, um zu handeln - falls einer der Schurken ihn entdeckte, würde er seine Kräfte benutzen müssen, würde fliehen, angreifen, springen, sich ducken, sich verstecken müssen - irgendetwas. Als er an einem Mann in Kapuzenmantel vorbeiglitt, der in der einen Hand ein Messer und in der anderen einen Weinschlauch hielt, konnte er den Mann riechen. Kylar musste seinen Atem auf den des Mannes einstimmen, damit dieser ihn nicht hörte, er musste jeden Schritt abwägen, musste das sich verändernde Licht im Auge behalten, während der Mond immer wieder hinter den Wolken hervorlugte, musste die Gesichter der vier jungen Männer im Blick behalten, während sie scherzten und redeten und eine Pfeife mit Gras herumreichten.
    »He, haltet den Mund!«, sagte der Mann, der Kylar am nächsten war. »Wenn ihr Idioten weiterredet, werden wir niemals jemanden fangen.«
    Die Männer verstummten. Der Blick des Kapuzenmannes wanderte direkt über Kylar hinweg. Kylar musste sich bezähmen, nicht laut aufzukeuchen - da war etwas in den Augen des Mannes, etwas Dunkles. Es berührte etwas tief in Kylars Geist.
    Am anderen Ende der Gasse kam ein Mann aus einem Gasthaus gestolpert. Er lehnte sich an eine Mauer und drehte sich dann um, um auf den Hinterhalt zuzugehen.
    Was tue ich hier? Kylar begriff, dass er nicht einmal einen Plan hatte. Ich bin wahnsinnig. Ich muss weg von hier. Er hatte Elene gegenüber sein Wort gebrochen. Nein, noch nicht. Schließlich hatte er nie versprochen, nachts nicht auszugehen. Er hatte geschworen, nicht zu töten.
    Er musste gehen. Jetzt. Wenn sie anfingen, den Betrunkenen zu verprügeln, wusste er nicht, was er tun würde. Oder
vielleicht wusste er genau, was er tun würde, und er konnte es nicht tun.
    Der Ka’kari sickerte aus seinen Poren wie ein Film schillernden schwarzen Öls. Er bedeckte seine Haut und seine Kleider im Nu - bedeckte ihn, schimmerte für den Bruchteil einer Sekunde auf und verschwand.
    Einer der Schläger auf der anderen Seite der Gasse runzelte die Stirn und öffnete den Mund, änderte jedoch seine Meinung und schüttelte den Kopf, davon überzeugt, dass er sich nur eingebildet hatte, was immer er glaubte, gesehen zu haben.
    Kylar sprang anderthalb Meter hoch in die Luft und packte die Kante des Dachs. Er zog sich empor und begann wegzulaufen. Als er einen Schrei hörte - und war das der dumpfe Aufschlag eines Knüppels, der auf Fleisch traf? -, blieb er nicht stehen. Er schaute nicht hin.
    Er war nur vier Häuserblocks entfernt, immer noch auf der Flucht auf Tante Meas Haus zu, als er ein Mädchen sah, das von drei weiteren Banditen verfolgt wurde.
    Was zur Hölle tat sie so spät noch draußen auf der Straße? Jeder in diesem Stadtteil musste wissen, wie dumm es war, wenn ein Mädchen - natürlich ein hübsches, goldhaariges Mädchen - allein unterwegs war.
    Es ging ihn nichts an. Goldlöckchen blickte über ihre Schulter, und Kylar konnte ihr tränenüberströmtes Gesicht sehen. Wunderbar. Ein dummes, aufgewühltes

Weitere Kostenlose Bücher