Am Rande Der Schatten
Chantry, aber nur wenige stiegen in hohe Ränge auf. Häufig war es einfach eine praktische Entscheidung: Die Frauen fanden, dass sie wegen ihrer Kinder, ihrer Ehemänner und ihrer Häuser lieber ihre ganze Zeit bei ihren Familien verbringen sollten.
Doch manchmal wollten ehrgeizige Schwestern alles. Sie wollten mit der Chantry und mit einem Mann verheiratet sein. Sie stiegen niemals so hoch auf, wie sie es ihrer Meinung nach verdienten, denn oberhalb eines gewissen Rangs wollten die Schwestern Anführerinnen, für die die Chantry ihre einzige Familie war. Die Frauen, die eine Familie für den Seraph opferten, betrachteten es als ihr Recht, vor jenen befördert zu werden, die nur die halbe Arbeit taten,
ganz gleich, wie sehr sie dabei brillierten. Diese Einstellung erstreckte sich sogar auf verheiratete, aber selbst kinderlose Schwestern, denn auch von ihnen glaubte man, dass sie irgendwann alles wirklich Wichtige liegen lassen würden, um sich um ihren Mann und möglicherweise dessen Bälger zu kümmern, wie jede Bauernfrau es tat. Die Schwestern nannten sie unter sich Leibeigene, freiwillige Haushälterinnen und Zuchtstuten für Männer, und sie sagten, die Leibeigenen vergeudeten die Zeit und das Geld der Chantry und - was das Schlimmste war - ihre eigenen Talente. Im Allgemeinen wurde den Bemerkungen nicht widersprochen, weil die überwältigende Mehrheit der Schwestern in der Chantry alleinstehend war. Entweder waren sie Lehrerinnen, oder sie waren Schülerinnen. Es galt als rüde, eine verheiratete Schwester in deren Anwesenheit als Leibeigene zu bezeichnen, aber es kam vor.
Wenn die verheirateten Schwestern einen Orden gründeten - und Ariel konnte nicht erkennen, wie man ihnen dies verwehren könnte -, würden sie über ungeheure Macht verfügen. Zu ihnen zählten mehr als die Hälfte aller Schwestern. Wenn sie zu einer Einheit wurden, würden die Dinge sich radikal verändern.
»Es ist natürlich eine List«, fuhr die Sprecherin fort. »Die meisten der … verheirateten Schwestern sind nicht militant genug, um sich hinter einem solchen Namen zu versammeln. Es ist lediglich ein Schuss vor den Bug, um uns wissen zu lassen, dass sie es ernst meinen.«
»Was wollen sie?«, fragte Ariel.
Istariel blinzelte. »Viele Dinge, aber eine der vorrangigen Forderungen ist die Gründung einer neuen Schule der Magie. Einer Schule, die mit unseren Traditionen bricht.«
»Wie groß wäre der Bruch?«
»Sie wollen eine Männerschule, Ariel.«
Das war mehr als ein Bruch mit der Tradition. Es war eine umwälzende Neuerung.
»Wir glauben, dass einige von ihnen bereits mit Magi verheiratet sind.«
»Was soll ich tun?«, fragte Ariel sofort.
»In dieser Angelegenheit?«, sagte Istariel. »Gar nichts. Himmel, nein. Verzeih mir, Schwester, aber du bist die letzte Person, die da helfen könnte. Es erfordert ein feinsinnigeres Vorgehen. Ich habe etwas anderes für dich. Die Anführerin der verheirateten Schwestern ist Eris Buel. Ich kann mich ihr nicht direkt widersetzen. Ich brauche jemanden, der ehrgeizig, angesehen und jung ist, um unser Banner hochzuhalten.«
Was Ariel natürlich ausschloss. »Du beschreibst vielleicht ein Drittel unserer Schwestern oder würdest es tun, wenn du das Wort skrupellos hinzufügtest.«
Istariels Augen wurden zuerst heiß und dann kalt. Ariel wusste, dass sie zu weit gegangen war, aber Istariel würde deswegen nichts unternehmen. Sie brauchte sie. Außerdem hatte Ariel ihre Bemerkung nicht in erster Linie gemacht, weil sie zutreffend war, sondern eher um des Sekundenbruchteils willen, den Istariels Blick entweder schuldbewusst sein würde oder nicht. Er war es gewesen.
»Ari, nicht einmal du darfst so mit mir sprechen.«
»Was willst du?«, fragte Ariel.
»Ich will, dass du Jessie al’Gwaydin in die Chantry zurückholst.«
Ariel dachte darüber nach. Jessie al’Gwaydin wäre ein idealer Stein, um Eris Buel damit zu zerquetschen. Sie war alles,
was die Chantry liebte: kultiviert, gutaussehend, intelligent, von nobler Geburt und bereit, ihre Pflicht zu tun, um bis ganz nach oben aufzusteigen. Sie verfügte über keine schrecklich große Magie, aber sie würde eines Tages vielleicht eine gute Anführerin abgeben, falls ihr jemand ein wenig Vernunft einprügelte.
»Sie studiert in Torras Bend den Dunklen Jäger«, sagte Istariel. »Ich weiß, es ist gefährlich, aber ich habe sie hinreichend gewarnt, um mir sicher zu sein, dass sie nichts Voreiliges tun wird.« Istariel lachte leise.
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