Am Rande Der Schatten
werden die Edelleute nicht glauben, dass es echt ist.«
Kylar lächelte; es tat ihm einfach gut zu hören, dass jemand so mit ihm sprach, als wüsste er, was er tat - was auch der Fall war. »Nun, dann schuldet Ihr mir das Zehnfache der Summe, die ich Euch zuvor genannt habe.«
Der Haushofmeister lachte. »Wenn Eure Medizin Lord Garazul tatsächlich hilft, werde ich etwas Besseres tun. In der Zwischenzeit ist dies alles, was ich bei mir habe.« Er warf Kylar zwei neue Silbermünzen hin. »Guten Tag, junger Herr.«
Als Kylar dem Mann nachsah, überraschte es ihn, wie gut es sich anfühlte. Vielleicht war es besser zu heilen als zu töten. Oder vielleicht war es einfach gut, Anerkennung zu bekommen. Wie hatte Durzo es gemacht? Er hatte im Laufe der Zeitalter ein Dutzend verschiedener Helden verkörpert - vielleicht etliche Dutzend verschiedener Helden. Hatte er je den Wunsch verspürt, sich zu offenbaren? Allen zu erzählen, wer er war, sodass sie ihm die geziemende Ehrfurcht entgegenbrachten? Hier bin ich, bewundert mich.
Aber Durzo hatte diesen Eindruck nie vermittelt. Kylar war bei ihm aufgewachsen und hatte nie auch nur die blasseste Ahnung gehabt, dass sein Meister der Nachtengel war; und erst recht hatte er nichts von den anderen Identitäten des Mannes gewusst. Warum nicht? In gewissen Teilen seines Lebens hatte Durzo durchaus arrogant gewirkt. Er hatte eindeutig den meisten Blutjungen gewaltige Geringschätzung entgegengebracht und dem größten Teil der Sa’kagé.
Aber er hatte sich selbst niemals mit den großen Helden der Geschichte auf eine Stufe gestellt.
Wieder durchzuckte Kylar ein Stich der Trauer. Götter, Durzo war seit drei Monaten tot - und obwohl Zeit vergangen war, wurde es nicht besser.
Kylar tastete nach der kleinen Schachtel in seiner Tasche. Er starb, damit ich Elene haben konnte. Kylar versuchte, Durzo aus seinen Gedanken zu verbannen. Wir wollen nur Ulys Geburtstag hinter uns bringen, dann kann ich Elene bitten, mich zu heiraten. Und dann kann Uly mehr Knarren hören, als sie sich je vorgestellt hat.
»Kylar«, sagte Uly und riss ihn damit aus seinem Tagtraum. »Wirst du meine Frage beantworten?«
Oh, Scheiße. »Uly«, erwiderte er sanft. »Ich weiß, du empfindest es nicht so, und du bist gewiss so klug wie ein erheblich älteres Mädchen, aber du bist immer noch ein …« Er legte die Stirn in Falten, wohl wissend, dass der nächste Teil nicht so gut ankommen würde. »Du bist immer noch ein Kind.« Es war die Wahrheit, verdammt.
»Nein, bin ich nicht.«
»Doch, bist du wohl.«
»Ich hatte gerade diese Woche mein erstes Mondblut. Tante Mea sagt, das bedeute, dass ich jetzt eine Frau bin. Es hat wirklich wehgetan, und zuerst hat es mir Angst gemacht. Mein Bauch hat furchtbar geschmerzt und mein Rücken auch und dann …«
»Ah!« Kylar wedelte mit den Händen, um sie dazu zu bringen aufzuhören.
»Was? Tante Mea hat gesagt, es sei nichts, was einem peinlich sein müsse.«
»Tante Mea ist nicht dein Vater!«
»Wer ist es dann?«, fragte Uly blitzschnell.
Kylar erwiderte nichts.
»Und wer ist meine Mutter? Du weißt es, nicht wahr? Meine Ammen haben mich immer anders als die anderen Kinder behandelt. Die letzte bekam es immer mit der Angst, wenn ich mich verletzte. Als ich einmal eine Schnittwunde im Gesicht hatte, hatte sie solche Angst, dass eine Narbe zurückbleiben könnte, dass sie wochenlang nicht geschlafen hat. Manchmal hat eine Dame uns beobachtet, wenn wir in den Gärten spielten, aber sie trug immer einen Umhang und eine Kapuze. War sie meine Mutter?«
Kylar nickte stumm. Es war genau das, was Momma K getan hätte. Sie hatte sich zweifellos um Ulys Sicherheit willen ferngehalten, soweit sie es ertragen konnte, aber ab und zu einmal musste sie schwach geworden sein.
»Sie ist wichtig?«, fragte Uly. Der Wunsch eines jeden Waisenkindes. Kylar wusste das nur allzu gut.
Er nickte abermals.
»Warum hat sie mich verlassen?«
Kylar stieß den Atem aus. »Du verdienst eine Antwort auf diese Frage, Uly, aber ich kann es dir nicht sagen. Es ist eins der Geheimnisse, die ich kenne, die aber nicht mir gehören. Ich verspreche, es dir zu erzählen, sobald ich kann.«
»Wirst du mich verlassen? Wenn wir heirateten, könnte ich mit dir gehen.«
Falls irgendwelche Leute glaubten, Kinder könnten nicht so leiden wie Erwachsene, wünschte Kylar, sie hätten Ulys Augen jetzt sehen können. So sehr er sie liebte, er hatte sie mehr wie ein kleines Kind behandelt denn wie ein
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