Am Rande Der Schatten
unmöglich wissen, wo sie war. Unmöglich, dass ein Brief von ihm ihr hierher vorausgeeilt war. Unmöglich, dass Jarl hier sein konnte - Jarl, dessen Identität ein Geheimnis sein sollte. Jarl, vor dem sie geflohen war! Unmöglich zu tun, was der Gottkönig verlangte. Aber die größte Unmöglichkeit war jetzt die einzige Unmöglichkeit: Es war unmöglich zu entkommen. Vi war die Sklavin des Gottkönigs. Es gab keinen Ausweg.
Irgendwie war Kylar dazu verpflichtet worden, das Abendessen für Ulys Geburtstag zu machen. Tante Mea hatte gesagt, dass kein Mann von einer Küche eingeschüchtert werden solle, und Elene hatte gesagt, dass ein Abendessen und Dessert im Vergleich zu den Tränken, die er machte, einfach sein sollten, und Uly hatte nur gekichert, während sie ihn in eine mit Rüschen besetzte Spitzenschürze gesteckt und seine Nase mit Mehl betupft hatten.
Also stand Kylar jetzt mit aufgekrempelten Hemdsärmeln da und versuchte, geheimnisvolle Kochausdrücke wie blanchieren und Mehlschwitze und gehen lassen zu enträtseln. Ulys Gekicher weckte in ihm den Verdacht, dass sie ihm das schwerste Rezept gegeben hatten, das sie finden konnten, aber er spielte mit.
»Was mache ich, wenn das Gelee... äh … getränt hat?«, fragte er.
Uly und Elene kicherten. Kylar warf sich mit dem Pfannenheber in Pose, und sie lachten laut auf.
Die Tür zur Schmiede wurde geöffnet, und Braen kam herein, schmutzig und übelriechend. Er bedachte Kylar mit einem ausdruckslosen Blick, der ihn dazu trieb, den Pfannenheber sinken zu lassen, aber er lehnte es ab, sich das Mehl von
der Nase zu wischen. Braen richtete den Blick auf Elene und musterte sie von Kopf bis Fuß.
»Wann gibt es Abendessen?«, fragte er sie.
»Wir werden es dir in deine Höhle bringen, wenn es fertig ist«, erklärte Kylar.
Braen grunzte und sagte zu Elene: »Du solltest dir einen richtigen Mann suchen.«
»Weißt du«, bemerkte Kylar, während Braen zurück in seine Schmiede schlurfte, »ich kenne einen Blutjungen, der diesem Mistkerl gern einen Besuch abstatten würde.«
»Kylar«, mahnte Elene.
»Es gefällt mir nicht, wie er dich ansieht«, erklärte Kylar. »Hat er irgendetwas bei dir versucht?«
»Kylar, nicht heute Abend, in Ordnung?«, sagte Elene und deutete mit dem Kopf auf Uly.
Plötzlich musste er an die Schachtel mit den Ringen in seiner Tasche denken. Er nickte. Dann setzte er eine ernste Miene auf, attackierte die kreischende Uly und warf sie sich kopfüber über die Schulter. Er tat so, als sei ihm nicht bewusst, dass sie da war, und machte sich wieder ans Kochen.
Uly heulte auf, trat mit den Beinen um sich und krallte sich in die Rückseite seiner Robe, als gelte es ihr Leben.
Tante Mea kam zungenschnalzend in die Küche. »Ich kann es nicht fassen, uns sind Mehl und Honig ausgegangen.«
»Oh nein«, sagte Kylar. »Wie soll ich die Sauce der fünften Mutter machen?« Er legte seinen Pfannenheber hin, beugte sich vor und streckte die Hände durch die Beine. Wie aufs Stichwort rutschte Uly mit dem Kopf voraus seinen Rücken hinunter und griff gerade rechtzeitig nach seinen Händen, sodass er sie durch seine Beine ziehen konnte. Atemlos und lachend landete sie auf den Füßen.
»Hat heute nicht jemand Geburtstag?«, fragte Kylar.
»Ich! Ich!«, rief Uly.
Er zog Silbermünzen aus Ulys Ohren, während sie weiter kicherte. Zwei Silbermünzen - es war ein Bonus, den der Edelmann ihm gegeben hatte. Auf diese Weise hatten er und Elene wieder kein Geld, aber Uly war es wert.
Als er die Münzen Uly in die Hand drückte, weiteten sich ihre Augen. »Für mich?«, fragte sie, als könne sie es nicht fassen.
Er zwinkerte ihr zu. »Elene wird dir helfen, etwas Schönes auszusuchen, in Ordnung?«
»Können wir sofort gehen?«, fragte Uly.
Kylar sah Elene an, die die Achseln zuckte. »Wir können mit Tante Mea gehen«, erwiderte sie.
»Ich muss ohnehin die Erbsen schälen«, sagte Kylar. Sie kicherten. Er lächelte Elene an und staunte einmal mehr darüber, wie schön sie war. Er war so verliebt, dass er glaubte, seine Brust werde bersten.
Uly tänzelte zur Tür und zeigte Tante Mea ihre Münzen. Elene berührte Kylar am Arm. »Wird alles gut mit uns werden?«, fragte sie.
»Nach heute Abend, ja«, antwortete er.
»Wie meinst du das?«
»Du wirst schon sehen.« Er lächelte nicht. Er wollte nichts verraten. Wenn er lächelte, würde er grinsen wie ein Narr. Er konnte es gar nicht erwarten, den Ausdruck auf ihrem Gesicht zu sehen.
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