Am Rande Der Schatten
ich dich brauche. Nicht nur wegen deiner Fähigkeiten, wegen deines Verstandes. Wenn Tenser in diesem Moment dort ist, wird er nur gerade so lange warten, bis sein Aufenthalt im Loch glaubwürdig ist, und dann wird er seinem Vater berichten, dass Logan dort drin ist. Wir müssen sofort aufbrechen. Sofort!«
Die Schachtel mit den Ringen brannte an Kylars Bein. Er schaute, während Jarl sprach, durch das offene Fenster und sah die Stadt, von der er gehofft hatte, dass sie für den Rest seines Lebens sein Zuhause sein würde. Er liebte diese Stadt. Liebte die Hoffnung hier, liebte das Heilen und Helfen, liebte die schlichte Freude, für seine Tränke gerühmt zu werden.
Er liebte Elene. Sie bewies ihm, dass er durch Heilen mehr Gutes tun konnte als durch Töten. Es ergab alles Sinn … Und doch …
»Ich kann nicht«, erwiderte Kylar. »Es tut mir leid. Elene würde es niemals verstehen.«
Jarl kippte den Stuhl auf zwei Beine zurück. »Versteh mich nicht falsch, Azo, denn ich bin ebenfalls mit Elene aufgewachsen, und ich liebe das Mädchen. Aber warum gibst du einen Scheiß darauf, was sie denkt?«
»Verdammt, Jarl.«
»He, ich frage ja nur.« Dann ließ er die Frage in der Luft hängen, ohne den Blick auch nur für einen Moment von Kylars Gesicht abzuwenden.
Der Bastard, er hatte wirklich während all der Jahre bei Momma K gelernt.
»Ich liebe sie.«
»Sicher, das ist ein Teil davon.«
Wieder dieser Ich-warte-Blick.
»Sie ist gut, Jarl. Nicht gut, weil es ihr etwas eintragen wird. Nicht gut, weil die Leute sie beobachten. Einfach gut. Zuerst dachte ich, sie sei einfach so geschaffen, du weißt schon, so wie deine Haut schwarz ist und ich umwerfend gut aussehe.«
Jarl zog eine Augenbraue hoch. Er lachte nicht.
»Aber jetzt habe ich gesehen, dass sie daran arbeiten muss. Sie arbeitet tatsächlich daran, und sie arbeitet daran, solange ich daran gearbeitet habe zu lernen, wie man Menschen tötet.«
»Sie ist also eine Heilige. Das beantwortet meine Frage nicht«, entgegnete Jarl.
Kylar schwieg eine geschlagene Minute. Er rieb mit einem Fingernagel über die Maserung des Holztisches. »Momma K
hat immer gesagt, dass wir zu den Masken würden, die wir tragen. Was ist unter der Maske für uns, Jarl? Elene kennt mich auf eine Weise, wie mich sonst niemand kennt. Ich habe meinen Namen geändert, meine Identität geändert, habe alles und jeden verlassen, den ich je gekannt habe. Ich bestehe nur aus Lügen, Jarl, aber solange Elene mich kennt, gibt es vielleicht ein echtes Ich. Weißt du, was ich meine?«
»Weißt du«, erwiderte Jarl, »ich habe mich in dir geirrt. Als du dich hast töten lassen, um Elene und Uly zu retten, hielt ich dich für einen Helden. Du bist kein Held. Du hasst dich einfach verdammt noch mal selbst.«
»Wie bitte?«
»Du bist ein Feigling. Du hast also schlimme Dinge getan. Willkommen im Club. Und weißt du was? Ich bin froh, dass du es getan hast; es hat dich zu etwas Besserem gemacht als einem Heiligen.«
»Ein Meuchelmörder ist besser als ein Heiliger? Was für eine verkorkste Sa’kagé-Denkweise ist das …«
»Es hat dich nützlich gemacht. Weißt du, wie es in Cenaria im Augenblick zugeht? Du würdest mir nicht glauben. Ich bin nicht hierhergekommen, um einen Künstler des Tötens zu finden. Ich bin gekommen, um den Künstler des Tötens zu finden, den Nachtengel, den Mann, der mehr ist als nur ein Blutjunge, denn die Probleme, die wir haben, sind größer als alles, womit irgendein Blutjunge fertig werden könnte. Es gibt nur einen einzigen Mann, der uns helfen kann, Kylar, und der bist du. Glaub mir, du warst nicht meine erste Wahl.« Er brach abrupt ab.
»Was soll das nun wieder heißen?«
Jarl wollte ihm nicht in die Augen sehen. »Ich meinte nicht …«
»Was wolltest du sagen?«, fragte Kylar mit einem gefährlichen Unterton.
»Wir mussten sicher sein, Kylar. Wir waren sehr respektvoll, ich möchte, dass du das weißt. Es war Momma Ks Idee. Er war früher unsterblich, wir mussten uns davon überzeugen …«
»Ihr habt die Leiche meines Meisters ausgegraben?«, rief Kylar.
»Wir haben sie - ihn - genauso wieder in die Erde gelegt, wie du ihn begraben hast.« Jarl zuckte zusammen. »Es war vielleicht eine Woche nach der Invasion …«
»Ihr habt ihn ausgegraben, während ich noch in der Stadt war?«
»Wir konnten es dir vorher nicht erzählen, und später gab es keinen Grund mehr dazu. Momma K sagte, der Leichnam würde da sein, dass Durzo dir seine
Weitere Kostenlose Bücher