Am Rande des Abgrunds: Thriller (German Edition)
müssen. Ruby wird gar nicht mehr wissen, wer ich bin. Wenn du aber nur sagst, wir wären zur gleichen Zeit da weggegangen, du und ich …«
Sie wollte so vieles sagen, beispielsweise Du hast es nicht besser verdient, du Drecksau oder Warum zum Teufel sollte ich dir helfen ? – aber da waren diese blauen Augen in seinem bleichen Gesicht und seine schmalen Schultern unter dem viel zu großen Sweatshirt.
»Die Zeit ist gleich um«, sagte der Wärter, zwei Meter von ihnen entfernt.
Keisha beugte sich vor und flüsterte eindringlich: »Du bist da hin, um Geld einzutreiben, das weiß ich genau. Für diese Typen, diese Gang. Ich weiß, dass du die kennst. Du bist da hin, um von Anthony Johnson Geld einzutreiben, stimmt’s?«
Er murmelte: »Ich wollte ihm nichts tun. Das war nur Business.«
»Ja klar. Business.«
»Ich würde so was niemals machen. Das weißt du doch.«
»Und was war mit Ruby?«
»Das war ein Unfall. Ich hab die Beherrschung verloren. Dieses Kind ist mein Ein und Alles, das weißt du.«
»Und was war mit deinen Schuhen? Ich hab doch gemerkt, dass das kein Ketchup war.«
Er sah ihr in die Augen, hielt ihrem Blick stand. »Ich bin hin, um zu helfen. Dachte, ich geh noch mal zurück. Aber da lag er schon in seinem Blut, und ich bin da reingelatscht. Da hab ich einfach Panik gekriegt, Keesh.«
Sie schluckte. »Die Hintertür. Bist du durch die Hintertür rein?«
»Ja. Aber ich hab ihm nichts getan, das schwöre ich bei Gott, Keesh. Ich hab einfach die Nerven verloren. Ich dachte: bei meinem Vorstrafenregister … und dann auch noch mit Blut an den Schuhen … Ich wollte dich nicht schlagen. Ich war nur einfach völlig mit den Nerven runter.«
»Ich glaub dir das nicht«, sagte sie, aber ihr zitterte die Stimme. »Wieso hast du mir dann Jonny auf den Hals gehetzt?«
»Weil, weil … ich hab dir nicht getraut. Ich dachte, du stellst dich gegen mich, sagst den Bullen was.«
»Ich trau dir auch nicht mehr.«
»Wir müssen uns aber vertrauen.« Sein Gesicht war jetzt ganz nah. »Wir müssen Vertrauen zueinander haben, Baby. Du bist die einzige Frau für mich, das weißt du, ja? Seit wir zwölf waren oder so. Die könnten dich auch einbuchten, die Bullen, wenn du was gesehen und nichts gesagt hast. Dann sind wir beide am Arsch. Und was wird dann aus unserer Tochter?« Chris ergriff ihre Hand. Es war warm in dem Raum, aber seine Hand war kalt. Er packte sie. »Ich mach das wieder gut. Das schwöre ich bei Gott. Wir kriegen unser kleines Mädchen wieder. Wir stehen das durch.«
Wie oft hatte sie sich ausgemalt, dass er das sagen würde, als sie noch der Meinung gewesen war, man könnte das alles irgendwie noch kitten?
»Kommen Sie.« Der Wärter brachte ihn dazu aufzustehen. Chris wandte seine blauen Augen nicht von ihr ab. »Ich mach es wirklich, Baby. Aber du musst mir helfen. Tu’s für mich.« Er wurde abgeführt, und sie war die letzte Frau, die noch in dem muffigen Raum saß. Sie schaffte es einfach nicht aufzustehen.
»Sie müssen jetzt gehen«, sagte der Wärter und schloss die Tür zum Gefangenentrakt. Keisha stand mühsam auf und nahm ihre Jacke. Scheiße, dachte sie. Was mach ich denn jetzt?
Hegarty
Hegarty hatte gerade seine Nachtschicht beendet, als er ihren Anruf bekam. Es war eine beschissene Nacht gewesen: Er war in eine Reihe scheußlicher Wohnungen eingedrungen, um Haftbefehle zu vollstrecken. Männer, fast ausschließlich Männer – junge und mittelalte, dicke und dünne, tätowierte und haarige. Nur eine Frau war darunter gewesen. Sie hatten sie um vier Uhr früh wegen eines Rauschgiftdelikts aus einem besetzten Haus abgeführt, mit müdem, trübem Blick; plötzlich aber wehrte sie sich wie eine Katze, und der festnehmende Sergeant bekam von einem im Leopardenmuster lackierten langen Fingernagel einen ordentlichen Kratzer auf der Wange ab. »Verrückte Kuh«, murmelte er und fuhr dann mit seinen Notizen fort.
»Ich hab nichts gemacht, verdammt noch mal!«, kreischte die Frau, während eine Polizistin sie in den Wagen bugsierte. Hegarty fühlte sich an Charlottes Freundin erinnert, die ewig unwirsche Keisha.
Charlotte. Er seufzte und notierte sich die Einzelheiten – Stuhl umgestoßen, mit einer Bong nach dem Kopf eines festnehmenden Beamten geschlagen – nicht nötig, die Wohnung zu durchsuchen, das Drogenzeug lag überall offen herum. Charlotte hatte sich nicht mehr bei ihm gemeldet, seit er sie am Singapurer Hafen verlassen hatte. Anschließend nur noch diese
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