Am Rande des Abgrunds: Thriller (German Edition)
beklommene Begegnung auf dem Revier, und seither Funkstille. Er rief sie nicht an und schickte ihr auch keine SMS – bisher hatte immer sie sich bei ihm gemeldet, und irgendwie war das in Ordnung gewesen. Aber dass er sie anrufen würde … na ja, er war schließlich immer noch bei der Polizei. Und dann, einige Tage zuvor, der Artikel über sie in der Zeitung. Jemand hatte ihm den aufmerksamerweise auf den Schreibtisch gelegt. Da stand sie traurig vor der Gefängnismauer – und war so wunderschön. Dann hatte sein Telefon geklingelt, und sein Chef hatte ihn zu sich bestellt. Und dann hatte er da hineingehen müssen, während seine ganzen Kollegen kichernd hinter ihren Monitoren hockten, um sich mit seinem Vorgesetzten, dem Gefahrenbeauftragten und dem Leiter der Presseabteilung darüber zu unterhalten, wie man »die negative PR auf ein Minimum reduzieren« könnte.
Als er sich nach Hause geschleppt hatte, in seine winzige Wohnung, in der das Rattern der Busse auf der Kentish Town Road nachhallte, hatte er daher nicht gerade damit gerechnet, von ihr zu hören. Er war verschwitzt und zog sich sofort aus, um unter die Dusche zu gehen, und da klingelte sein Handy, und das Display zeigte ihren Namen an. Charlotte. Mist.
Er hielt das Gerät lange in der Hand, ließ es fünf- oder sechsmal klingeln, ehe er den Knopf betätigte. »Ja?«
»Oh, hallo. Matthew?«
»Ja, ich bin’s.« Sie haben mich angerufen, natürlich bin ich’s. Was zum Teufel wollte sie denn jetzt?
»Störe ich?«
»Ich komme gerade von der Arbeit.«
»Oh.« Sie war so zögerlich. Dann sagte sie schnell: »Ich würde Sie gerne sehen. Ich muss mit Ihnen sprechen.«
»Geht es um den Artikel?«
»Sie haben ihn gesehen?«
»Unser ganzes Team wurde deshalb zu einer Besprechung zusammengerufen.« Bei der Hegarty einige fiese Bemerkungen zugemurmelt wurden und sich sein Chef in recht drastischer Weise darüber ausließ, dass man sich nicht emotional in die Fälle verwickeln lassen dürfe, wobei er Hegarty die ganze Zeit unverwandt ansah, mit einem ganz ähnlichen Blick wie seine Mutter, wenn er einen Fußball in ihre zum Trocknen aufgehängte Wäsche geschossen hatte. Matty, du enttäuschst mich .
Charlotte sagte: »Ich habe die extra gebeten, nicht über die Polizei herzuziehen. Aber Sie wissen ja, wie das ist: Diese Leute verfolgen immer auch noch eine eigene Agenda.«
»Jetzt weiß ich das, ja.« Erst als er seine Stimme hörte, merkte er, wie sauer er war.
»Also: Kann ich vorbeikommen? Sind Sie zu Hause?«
»Ja, aber …«
Er hörte, dass sie sich bewegte. »Ich kann in zwanzig Minuten da sein. Kentish Town, richtig?«
»Aber …« Mist. »Also gut. Ich bin aber gerade erst heimgekommen.« Er legte auf und versuchte Hals über Kopf, sein Junggesellen-Drecksloch ein bisschen aufzuräumen, sprang unter die Dusche, zog sich eine Jeans und sein Manchester-City-Shirt an, kickte einige dreckige Unterhosen unters Bett, stapelte das Schmutzgeschirr in der Spüle und ließ warmes Wasser drüberlaufen. Da es in der Wohnung käsig-muffig roch, riss er die Wohnzimmerfenster auf, und sofort erfüllte Verkehrslärm den Raum, und Abgase drangen herein.
Es klingelte, als er sich noch das Haar trocken rubbelte – für Wachs blieb keine Zeit. Jetzt würde er aussehen wie einer der Jackson Five. Dann stand sie vor ihm, ihr schönes blondes Haar zu einer Art Knoten gebunden, in demselben schicken Trenchcoat, den sie auch auf dem Zeitungsfoto getragen hatte. Hochhackige Schuhe. Und da es ein warmer, windiger Tag war, waren ihre Beine nackt.
»Kommen Sie doch rein.«
»Danke.« Sie sah sich in dem kleinen Wohnzimmer und der noch kleineren Küche um. Eine fingerdicke Staubschicht bedeckte seine Xbox und die CDs, benutzte Tassen, die er übersehen hatte, standen rund um den einzigen Sessel, und auf dem leeren Bücherregal lag eine ebenfalls leere Pizzaschachtel. Sie sagte nichts.
»Es ist ein ziemlicher Saustall hier. Ich hab viel gearbeitet in letzter Zeit.«
Sie ging nicht darauf ein. »Ich bin gekommen, um Ihnen zu sagen, dass mir das mit der Zeitung leidtut. Das war nicht fair. Ich musste bloß irgendwas unternehmen, um gegen diesen Banker-Butchers -Kram anzugehen.«
»Es war aber ein schönes Foto von Ihnen. Sie sahen sehr gut darauf aus.«
»Oh, danke.« Sie wurde ein wenig rot. »Ich dachte bloß, es wäre vielleicht hilfreich.«
Er nickte. Sie nestelte an ihrem Haarknoten herum. »Kylie hat gesagt, Sie haben sich von Dans Fall entbinden
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