Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Am Rande des Abgrunds: Thriller (German Edition)

Am Rande des Abgrunds: Thriller (German Edition)

Titel: Am Rande des Abgrunds: Thriller (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claire McGowan
Vom Netzwerk:
gelandet. Ihre Mutter war einige Male mit ihr zur Vorlesegruppe dorthin gegangen, und schon damals war es Keisha peinlich gewesen, wie Mercy die Geschichten, die eine Frau vorlas, mit Nicken und beifälligem Gebrumme begleitete. Sie wünschte, ihre Mutter würde verstehen, dass man in diesem Land nicht bei allem einfach so mitmachte.
    Es war still in der Bücherei, und ihr gefiel, dass es dort sauber und nach Büchern roch. Man konnte einfach so hineingehen, ohne einen Ausweis vorzuzeigen und ohne dass sich einem ein Rausschmeißer in den Weg stellte. Am besten aber gefiel ihr, dass sie sich zu zirka fünfundneunzig Prozent sicher sein konnte, dass Chris sie dort niemals entdecken würde. Dennoch schlich sie mit Kapuze auf dem Kopf hinein, total paranoid.
    Die Frau hinterm Schalter war ziemlich schick gekleidet, sah überhaupt nicht nach Bibliothekarin aus. Sie hatte zwar eine Brille auf, aber die war eher flippig, und sie trug lila Kniestiefel. »Kann ich helfen?«
    Keisha wurde rot. »Äh … darf ich reinkommen? Oder kostet das was?«
    Die Frau lachte ein bisschen, aber auf nette Weise.
    »Nein, das kostet nichts. Das wird mit Ihren Steuergeldern bezahlt.«
    Keisha hielt es nicht für nötig zu erwähnen, dass sie von dem, was sie im Altersheim in einem braunen Umschlag bekam, keine Steuern zahlte.
    Keisha blieb in der Bücherei, bis es dunkel wurde und die Lichter der Autos auf der Straße draußen durch die hohen, schmalen Fenster hereinzuschwenken begannen. Es war sehr angenehm dort, mit all den Büchern in den Regalen, und die Leute arbeiteten alle so still vor sich hin, dass bestimmt jemand Pscht! machen würde, wenn ein Handy klingelte oder mit Seiten geraschelt wurde. Auf der Toilette wusch sie sich das Blut vom Gesicht, ganz vorsichtig, wie bei einem angeschlagenen Stück Obst.
    Es gab dort sogar eine Cafeteria, und sie kaufte bei dem muffigen Mädchen dort das Billigste, was es gab, nur damit sie nicht nach draußen gehen musste. Sie fragte sich, was ihre Mutter dazu gesagt hätte, hätte sie gesehen, dass man dort für einen Teller Brokkoli-Käse-Suppe vier Pfund fünfzig verlangte. Wird die denn aus Gold zubereitet, diese Suppe? , hätte Mercy gefragt, und die schützende Glasscheibe wäre von ihrem Atem beschlagen, während sie versucht hätte, die Ciabattas zu betasten und herunterzuhandeln. Zwei fuffzig, okay?
    Neben der Kasse stand ein Schälchen mit dem Aufdruck TIP , mit einem kleinen Herzen über dem › I ‹. Ein Trinkgeld dafür, dass man einen Teller Suppe über einen Tresen reichte! In manchen Gegenden von London tickten die Leute echt nicht mehr ganz richtig.
    Der Tag verging förmlich wie in einer Blase. Solange sie in diesem Gebäude blieb, war sie in Sicherheit. Keisha holte sich einen ganzen Stapel Bücher, um beschäftigt auszusehen. Man konnte dort sogar ins Internet gehen, musste sich nur mit seinem Namen dazu anmelden. Keisha tat es, allerdings nicht mit ihrem eigenen Namen, sondern mit dem einer ehemaligen Mitschülerin, Shondra Potts, einer dummen Ziege. Als sie dran war, wusste sie erst nicht, wonach sie suchen sollte, doch dann bewegten sich ihre Finger wie von selbst und führten sie auf einige Nachrichten-Websites. Dort gab es verschiedene Beiträge über den Fall Johnson. Alle meinten, dass es im Büro des Bankers rassistisch zuginge, dass dort Leute gemobbt würden und alle dermaßen unter Stress stünden, dass es kein Wunder sei, dass er so was gemacht hatte. Der Fall war geklärt, das war die allgemeine Einschätzung. Warum also kümmerte sie das noch, was war sie denen schuldig, diesem weißen Pärchen, wo die doch alles hatten und sie selbst nichts, ja, weniger als nichts, jetzt nicht mal mehr eine Bleibe, nicht mal – nicht mal ihr eigenes Kind?
    Als ihr die Worte nichts, weniger als nichts durch den Kopf gingen, hätte sie am liebsten losgeheult, doch sie hielt die Tränen zurück und zog sich die Kapuze über den Kopf, damit niemand es sah. Als es dann schließlich zehn vor sechs war, wurde ihr klar, dass sie etwas unternehmen musste. Konnte sie es wagen, wieder nach Hause zu gehen, hatte er sich inzwischen beruhigt? Nein. Dieser Chris war jemand, den sie nicht mehr kannte. Er war zu allem fähig. Das hatte er jetzt wirklich bewiesen.
    Sie blieb so lange wie irgend möglich über ihren Tisch gebeugt sitzen und tat so, als würde sie nicht bemerken, dass um sie her allmählich die Lichter ausgeschaltet wurden. Schließlich stand jemand vor ihr. Es war die

Weitere Kostenlose Bücher