Am Rande des Abgrunds: Thriller (German Edition)
Tee hin, wobei sie ein wenig kleckerte. »Ach, das wird schon wieder. Ist halt nur ein ziemlicher Schock für ihn, oder?«
»Ja.« Charlotte wischte sich mit dem Handrücken die Tränen fort. »Er glaubt … Das letzte Mal hat er mir gesagt, er glaubt, dass er es getan hat. Und jetzt wollte ich ihm berichten, was du mir erzählt hast, damit er mal anfängt, sich zu wehren, damit er einsieht, dass er’s nicht war. Oder dass zumindest die Möglichkeit besteht, dass er es nicht war.« Sie tupfte den vergossenen Tee auf, mit dem Blatt Papier, auf dem Keisha die Einkäufe zusammengerechnet hatte.
Keisha zuckte mit den Achseln. »Vielleicht glaubt er dir nicht. Er denkt vielleicht, er ist ganz alleine schuld daran, und will im Knast sein. Hört sich jedenfalls so an.«
Keisha konnte durchaus scharfsinnig sein. Charlotte starrte sie an. »Ja, das stimmt. Genau so ist es.« Sie sank noch weiter in sich zusammen. »Ich muss ihn da rausholen. Er geht vor die Hunde. Weißt du, was ich meine? Er gehört da nicht hin.«
»Meinst du, andere gehören da hin?«, schnaubte Keisha.
»Nein. Keine Ahnung. Herrgott. Bitte, Keisha: Hilf uns. Als du zu mir gekommen bist, hast du gesagt, du würdest helfen. Können wir jetzt also zur Polizei gehen?«
Keisha erstarrte mit ihrer Teetasse in der Hand.
»Um Himmels willen, was ist denn los? Wieso bist du hierhergekommen, wenn du mir nicht helfen willst?« Nachdem Charlotte das gesagt hatte, erschien die Stille in der Küche riesengroß. Von draußen hörte man den Verkehr, und auf dem Baum am Fenster sang ein Vogel.
Keisha blickte zu Boden. »Ich werd dir helfen.«
»Ich weiß, es tut mir leid, du hast mir schon geholfen, hast du wirklich. Aber weißt du … Ich hab Angst, dass ich ihn nicht mehr wiederkriege. Nicht mehr so, wie er war.«
»Ja, aber …«
»Aber was? Du fürchtest dich vor Chris, ist es das?«
»Nein!«, brauste Keisha auf. »Du verstehst das einfach nicht. Wo ich herkomme, geht man nicht zur Polizei. Das sind eher die Leute, vor denen man wegläuft, klar? Wieso sollten die mir glauben? Ich war ja schließlich auch da, in dieser Nacht. Und ich hab keinen Fitzel von einem Beweis.«
Charlotte seufzte und fuhr sich mit den Händen übers Gesicht. Das stimmte, das musste sie zugeben. Sie hatte auch den Eindruck gehabt, dass ihr die Polizisten nicht mehr zugehört hatten, nachdem sie Dan zu ihrem einzigen Verdächtigen erkoren hatten.
»Es muss da doch irgendwas geben«, sagte sie. »Dieser Club ist schließlich ein öffentlicher Ort. Irgendwas muss es da geben, wenn sie nur noch mal hingehen und danach suchen würden.«
»Du meinst, eine Überwachungskamera oder so?«
»Ja, aber die hat die Polizei schon überprüft. Da konnte man sehen, wie Dan durch den Hinterausgang aus dem Saal gegangen ist.« Sie zuckte zusammen: Sie hasste es, an all die Dinge zu denken, die sie zusammengetragen hatten, um ihn schuldig aussehen zu lassen.
»Es sei denn, es gibt da noch ’ne andere Kamera«, sagte Keisha gedankenverloren und trank einen Schluck Tee.
Charlotte zog die Stirn in Falten. »Daran hab ich überhaupt noch nicht gedacht.« Sie versuchte krampfhaft, sich daran zu erinnern, aber es entglitt ihr immer wieder wie ein glitschiger Fisch. »Ich glaube, da war was. Ich sehe dieses gelbe Schild vor mir – du weißt schon: wenn es irgendwo Videoüberwachung gibt. Aber ich kann mich nicht richtig daran erinnern. Das Problem ist, dass niemand sonst durch diesen Ausgang rausgegangen ist. Deshalb ist sich die Polizei so sicher, glaube ich.« Sie spürte Hoffnungslosigkeit in sich aufsteigen. »Es muss aber irgendwas geben, das sie übersehen haben. Vielleicht sollten wir noch mal in diesen Club gehen.«
Keisha sah sie fragend an. »Du hast wirklich keine Ahnung, wieso Chris hinter dir her ist? Du hast wirklich nichts gesehen?«
Da stieg eine Erinnerung aus den Tiefen ihres Hirns an die Oberfläche ihres Bewusstseins, als wäre sie mit einem Mal mit Luft gefüllt. Der Mann, der sich an ihr vorbeigedrängt hatte. Ein Weißer, der sie geschubst hatte. Er hatte nach Schweiß und Aftershave gerochen und gereizt etwas gemurmelt, als sie ihm im Weg stand. Dann war er weggelaufen – wohin? »Mir fällt nichts ein. Ich kann mich an nichts erinnern.«
Keisha nestelte an ihrem Teebeutel herum, der immer noch in der Tasse hing; Charlotte hatte es aufgegeben, sie zu bitten, die Beutel vor dem Trinken herauszunehmen und in den Müll zu werfen. Keisha sagte: »Meine Mum kannte die
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