Am Rande des Abgrunds: Thriller (German Edition)
Charlotte wusste inzwischen, dass das nichts bedeuten musste. »Und?«
»Komm.« Sich immer noch umschauend gingen sie zur Bushaltestelle zurück. Keisha seufzte und fummelte an einer Tasche ihrer Jeansjacke herum.
»Hast du’s bekommen?«
Keisha ließ die Schultern hängen: Ja . »Er hat’s mir gegeben, hat aber auch gesagt, ich brauch nicht mehr wiederzukommen, weil ich mich die ganze Woche nicht hab blicken lassen. Arschloch.«
»Oh.«
»Mach dir nichts draus. Ist eh ’n Scheißjob. Ich such mir was anderes – Zeitarbeit, Kellnern. Irgendwas.«
Charlotte seufzte. »Ich sollte mir wohl auch was Neues suchen. Wir haben so viel Geld für die Hochzeit ausgegeben.« Es tat immer noch so weh, dass sie kaum daran denken konnte. »Ich hab mich mal bei den anderen PR-Agenturen umgesehen, aber da ist bei dieser Rezession nichts zu wollen. Im Grunde konnte ich echt froh sein, diesen Job zu haben. Was bin ich doch für eine dumme Nuss. Aber ich bin wirklich nicht in der Verfassung, auf Arbeitssuche zu gehen. Ich weine immer noch mindestens zehn Mal am Tag.«
Als der Bus kam, zückten sie ihre Oyster Cards, und Keisha sah sie von der Seite an. »Willst du den Job hier?«
»Was? Ich?«
Keisha zuckte mit den Achseln. »Ist echt nicht schwer, man muss nur Tee kochen und so. Und der Typ ist zu geizig, ’ne Anzeige zu schalten.«
Charlotte hätte fast losgelacht. Von einer PR-Agentur in Soho – glänzendes Haar, teure Schuhe – zu einem Pflegeheim voller dementer Greise! »Muss man denn da nicht … abwischen oder so?«
»Die Ärsche? Ja, manchmal, wenn gerade zu wenig Personal da ist. Aber scheißen tun wir doch alle, Char.«
»Oh.«
Keisha schwang sich an der Haltestange in den Bus. »Die Dinge sehen jetzt anders aus, stimmt’s? Du musst tun, was du kannst. Meld dich doch auch bei meiner Agentur an. Das sind zwar fiese Schweine, aber die zahlen ganz okay. Wenn auch nicht bar auf die Kralle wie in diesem verdammten Heim.«
Zu Hause angelangt musste Charlotte erst mal duschen, um sich von dem Scheiße-und-Putzmittel-Gestank zu befreien, und als sie wieder ins Wohnzimmer kam, sah Keisha fern. Auf dem Küchentisch lag ein Haufen Geld, Scheine und Münzen, daneben ein Blatt Papier mit einer langen handschriftlichen Zahlenkolonne darauf. »Du hast die Kassenzettel zusammengezählt?«
»Ja. Zusammenzählen kann ich.«
Wieder war sie verlegen. »So habe ich das nicht gemeint … Danke. Das wäre aber nicht nötig gewesen.«
Keisha stand auf und kam zu ihr in die Küche. »Hör mal, Char, wir müssen über Geld reden. Wie hoch ist die Hypothekenrate für die Wohnung hier?«
Charlotte war es nicht gewohnt, offen über Geld zu sprechen. Das sei unfein, hatte ihre Mutter immer gesagt. »Das weiß ich nicht so genau.« Keisha bedachte sie abermals mit diesem Blick. »Oh, warte mal, das stand ja in Dans Brief.« Sie angelte ihn aus der Obstschale. »Hier. Zweitausend im Monat.«
»Zwei Riesen? Krass.«
»Na ja, offiziell hat sie zwei Schlafzimmer und, du weißt ja, die Gegend hier … Und dann sind da noch die anderen Rechnungen – und das Fitnessstudio – und die Putzfrau, die normalerweise kommt und die glaubt, wir wären jetzt in Jamaika.« Als sich Charlotte umsah, glich die Wohnung bereits jetzt, nach nur zwei Wochen ohne Marias kompetente Mitwirkung, einem Saustall – Kochspritzer die ganze Wand hinauf, und der Mülleimer quoll über. Als sie das mit der Putzfrau sagte, wagte Charlotte nicht, Keisha anzusehen.
»Hör mal, wenn ich ’ne Woche lang Nachtschichten in diesem Laden schieb, kriege ich zweihundertfünfzig raus. Wenn du also willst, dass ich deine Mitbewohnerin werde, kann ich nicht mal die Hälfte davon blechen. Verstehst du?«
»Ich auch nicht, nicht mal mit meinem bisherigen Gehalt. Dan hat das immer bezahlt.« Sein Stundensatz betrug über zweihundert Pfund.
»Und jetzt kriegst du nicht mal was rein. Und außerdem musst du auch noch diese ganze Hochzeitsscheiße abbezahlen.«
Darauf reagierte Charlotte ungehalten: Was war an ihrer Hochzeit denn bitte schön scheiße? »Du willst mir also sagen, ich soll den Job im Pflegeheim annehmen?« Oder irgendeine andere miese Beschäftigung.
»Das wird nicht reichen. Du könntest hier ausziehen.«
Als ob sie daran noch nicht gedacht hätte. »Nein, kann ich nicht. Ich bekomme diese Wohnung niemals verkauft, nicht bei dieser Marktlage. Und außerdem liebt Dan diese Wohnung; ich muss sie für ihn halten. Stell dir vor, er kommt raus, und ich habe
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