Am Samstag aß der Rabbi nichts
während
sie den Mantel auszog.
«Ich kann’s nicht beurteilen. Es war ja alles auf
Hebräisch.»
Sie kramte in ihrer Tasche. «Der Rabbi hat mir ein kleines Buch
gegeben, da stehen alle Gebete mit der Übersetzung drin; so konnte ich
wenigstens mitlesen. Ich war derart durcheinander, dass ich es einfach
eingesteckt habe.»
Er blickte ihr über die Schulter, während sie in dem
Büchlein blätterte.
«Es steht gar nicht viel vom Tod drin», bemerkte sie. «Meistens
ist vom Lob Gottes die Rede … Und was sagen Sie zu dem Kantor? Hat er nicht
wunderschön gesungen?»
«Jaaa … Ein bisschen fremdartig, nicht? Mit den vielen Trillern
und Schleifen, und alles in Moll …»
«Irgendwie hat’s mich an Ike erinnert. Er hat oft solche Melodien
vor sich hin gesummt, wenn ihn ein Problem beschäftigte. Dann ging er im Zimmer
auf und ab und sang leise vor sich hin … Armer Ike. Er war so allein. Er hatte
keine Familie, keine Freunde, er sonderte sich von seinen Leuten ab …»
Sykes fürchtete, sie würde anfangen zu weinen. «Es waren viel
mehr Leute da, als ich eigentlich erwartet hatte», lenkte er ab.
Ihr Gesicht erhellte sich. «Ja, nicht wahr? Ich wusste,
dass Liz Marcus kommen würde. Aber bei den Levensons und Aaron und Molly Drake
war ich nicht sicher. Sie sind gute Freunde. Der kleine Magere war von der
Versicherung, ein Mr. Brown – ich war überrascht, dass er auch da war.»
«Er ist Vorsitzender der Friedhofskommission.
Wahrscheinlich wollte er sich vergewissern, dass alles klappte.»
«Wer waren die drei Männer hinter dem Rabbi?»
«Alles Leute von der Firma. Der eine ist unser ‹Mädchen für
alles›, und die beiden anderen sind Techniker. Sie mochten Ihren Mann gut
leiden.»
«Nett, dass sie gekommen sind. Ach, und haben Sie Peter Dodge
gesehen?»
Er schmunzelte. «Ja. Er hatte seinen Priesterkragen nicht an.»
«Das ist doch verständlich unter den Umständen»,
verteidigte sie ihn. «Wer war der große, stämmige Mann, der etwas abseits
stand?»
Er sah sie überrascht an. «Kennen Sie ihn nicht?»
Sie schüttelte den Kopf.
«Das war Ben Goralsky – der große Goralsky von
Goraltronics.»
«Na so was – dass der sich die Zeit für Ikes Beerdigung genommen
hat … Ich hätte ihn begrüßen müssen. Allerdings, er ist hinterher gleich
weggegangen.»
«Ja, ich weiß. Seine Mutter ist auch da beerdigt.
Wahrscheinlich wollte er noch zu ihrem Grab.»
«Ich finde den Friedhof sehr schön. Er hätte Ike gefallen –
ein freies Feld auf einem Hügel, mitten in der Landschaft.»
«Es sind erst zwei oder drei Gräber da.»
«Er ist ja auch ganz neu. Mit der Zeit werden sie einen Weg
anlegen und einen hohen Zaun bauen müssen; aber mir gefällt es auch so. Und
Ikes Grab liegt gleich beim Eingang. Alle müssen dran vorbei …» Sie hielt
inne, als sei ihr etwas eingefallen. «Ach, Dr. Sykes …»
Er setzte sich lässig auf die Couchlehne. «Ja?»
«Wer war eigentlich der kleine Mann mit dem roten Gesicht?»
«Ein kleiner Mann mit rotem … Ach der. Keine Ahnung, ich
hab ihn noch nie gesehen.»
«Er hat mich die ganze Zeit angestarrt. Jedes Mal, wenn ich
aufsah, glotzte er zu mir herüber.»
«Na, Sie waren schließlich die Hauptperson, sozusagen.»
«Vielleicht ist er mit Dodge befreundet. Sie standen
nebeneinander … Da kommt er ja; wir können ihn gleich fragen.»
Sykes ging zur Haustür, um Peter Dodge zu öffnen; die beiden
Männer schüttelten sich feierlich die Hand. «Das haben Sie ausgezeichnet
organisiert», meinte Dodge. «Alles hat großartig geklappt. Ich hätte ja auch
gern geholfen, aber das wäre vielleicht nicht ganz das Richtige gewesen – ausgerechnet
ein …»
«Schon gut. Ich habe ja gar nicht viel getan. Die Herren von
der jüdischen Gemeinde haben sich um alles gekümmert … So, Mrs. Hirsh, jetzt
haben Sie ja Gesellschaft, da kann ich ins Labor zurück.»
«Oh, müssen Sie wirklich gehen, Dr. Sykes?» Sie gab ihm die
Hand. «Ich habe Ihnen noch nicht einmal gedankt für alles, was Sie für mich
getan haben.»
«Ich freue mich, wenn ich Ihnen etwas abnehmen konnte. Ihr
Mann war ein Freund … ein richtiger Freund. Er wird uns sehr fehlen.» Er wandte
sich an Dodge: «Ach, übrigens – wer war der kleine Mann, der neben Ihnen
stand?»
Der Pfarrer schüttelte den Kopf. «Keine Ahnung. Warum?»
«Wir dachten, es sei ein Freund von Ihnen. Na ja, dann war’s
wohl jemand von der Gemeinde.»
«Glauben Sie? Er sah aber gar nicht jüdisch aus.»
«Wie kann man
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