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Am Samstag aß der Rabbi nichts

Am Samstag aß der Rabbi nichts

Titel: Am Samstag aß der Rabbi nichts Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Harry Kemelman
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Kapazität»,
sagte er langsam. «Er hatte in Fachkreisen einen sehr guten Namen. Aber seit er
bei uns war – und vielleicht auch schon früher … Es war einfach nicht mehr
dasselbe. In dem knappen Jahr hat er ein halbes Dutzend Fehler gemacht. Ich hab
ihn jedes Mal bei der Geschäftsleitung gedeckt, aber … Diesmal war’s ziemlich
schlimm; und ausgerechnet bei einem Auftrag von einem unserer größten Kunden … Ich
hab mein Möglichstes getan, aber der Boss blieb hart. Er hatte Ike für Montag
Morgen bestellt, um …»
    «Was hat er denn gemacht?»
    «Schwer zu erklären. Ich meine, weil Sie nicht vom Fach sind
… Er arbeitete an einem neuen Verfahren, um ein bestimmtes Produkt billiger und
besser herzustellen – tut mir Leid, aber ich kann leider nicht auf Einzelheiten
eingehen. Die Sache hatte sich herumgesprochen, worauf die Aktien der
betreffenden Gesellschaft stark gestiegen waren. Und dann stellte es sich
heraus, dass sich Ihr Mann geirrt hatte. Natürlich wurde der Kunde wütend. Das
Schlimme an der Sache ist aber, dass die Firma mit einer anderen Gesellschaft fusionieren
will, und jetzt sieht’s so aus, als hätte sie ihren Börsenwert manipuliert.»
    «Hat Ike das alles gewusst?»
    Dr. Sykes schwieg.
    «Ach, Ike … Lieber, armer Ike … Er wusste es bestimmt und
wollte es vor mir verheimlichen. Er hat sicher Angst gehabt, wir müssten wieder
einmal unseren Kram packen und von hier fortziehen. Wir sind schon so oft
umgezogen. Immer wegen der Trinkerei … Er wusste, dass ich es satt hatte. Dass
ich hier bleiben wollte. Er wusste, dass es mir hier gut gefiel …» Sie
hielt inne; dann fuhr sie hastig fort: «Dr. Sykes – hat er gewusst, dass er
nicht mehr … Ich meine, Sie sagen, er hat Fehler gemacht; er hat früher nie
Fehler gemacht. Glauben Sie, er hat Angst gehabt, sein Verstand lässt nach? Wegen
des Alkohols womöglich?» Ihr Blick hing an seinem Gesicht. «Aber er musste doch
wissen, dass … Es wäre mir doch ganz schnuppe gewesen! Für mich war er immer
noch gescheit genug.»
    «Das wusste er sicher, Mrs. Hirsh.»
    Sie setzte sich aufrecht und nahm die Schultern zurück.
    «Also, was soll ich jetzt tun?»
    «Nichts. Sie brauchen überhaupt nichts zu tun. Warten Sie ab,
wie die Versicherung reagiert, dann können Sie Ihren Entschluss fassen.» Er
stand auf. «Wenn ich Ihnen irgendwie behilflich sein kann, Pat, rufen Sie mich
bitte an.»
    Sie nickte. «Ja, ich weiß. Sie waren uns immer ein guter Freund.»
     
     
     
     
    18
     
    «Possel? Was heißt das – possel?»
    «Es ist so was Ähnliches, wie nicht koscher – ungeeignet,
unbrauchbar, unrein.»
    «Na, hören Sie, Mr. Goralsky! Unser Friedhof ist doch nicht
unrein!»
    «Doch. Weil ein Selbstmörder da begraben liegt.
Selbstmörder müssen abseits beerdigt werden, am Rand. Und ihr habt ihn
zuvorderst beerdigt. Darum ist der Platz possel. »
    «Wir haben keinen Selbstmörder begraben, Ben. Von wem sprechen
Sie eigentlich?»
    «Machen Sie mir nichts vor, Mr. Schwarz. Gestern habt ihr Isaac
Hirsh auf dem Friedhof beigesetzt. Ich war selbst dabei. Und heute besucht mich
der Untersuchungsbeamte von der Versicherung. Es gibt praktisch keinen Zweifel
daran, dass der Kerl sich das Leben genommen hat … Was glauben Sie, was sich
mein Vater darüber aufregt!»
    «Warum denn?»
    «Warum? Weil, mit Verlaub, meine Mutter auch da begraben
ist! Sie war ihr Leben lang eine gute, fromme Frau; sie hat ein koscheres Haus
geführt und die Gebote gehalten, und jetzt liegt sie neben einem Selbstmörder!»
    «Hören Sie, Ben … eh, Mr. Goralsky: Ich hab keine Ahnung,
wer dieser Isaac Hirsh ist. Ich hör den Namen zum ersten Mal. Für die
Angelegenheit ist die Friedhofskommission zuständig. Es gibt sicher eine
Erklärung dafür. Hat ihn der Rabbi beigesetzt?»
    «Wer denn sonst? Die Grabrede hat er gehalten, die Gebete
hat er gesprochen … Vor ein paar Tagen hat er meinem Vater gedroht – ich hab’s
selbst gehört –, dass er ihn wie einen Selbstmörder am Rande des Friedhofs
begraben wird, wenn er seine Medizin nicht einnimmt und deshalb stirbt – und
dann kommt dieser Isaac Hirsh, der nicht mal zur Gemeinde gehört hat, wo der
Friedhof doch nur für Gemeindemitglieder bestimmt ist, und die Frau ist keine
Jüdin … Und was tut der Rabbi? Er beerdigt ihn mit allem Pomp! Sie sagen, es
gibt sicher eine Erklärung dafür? Das stimmt: Ihr wollt eine Grabstelle
verkaufen, und für die paar hundert Dollar ist es euch scheißegal, was mit den
anderen

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