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Am Samstag aß der Rabbi nichts

Am Samstag aß der Rabbi nichts

Titel: Am Samstag aß der Rabbi nichts Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Harry Kemelman
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murrte
er. «Bis morgen bin ich wieder auf dem Damm.»
    «Wenn du dich nicht legst, ganz bestimmt nicht.» Sie
fütterte ihn mit Apfelsinensaft und Aspirin, doch am späten Abend war die
Temperatur auf 38 , 5 hochgeklettert.
    «Ich ruf Dr. Sigman an», meinte sie.
    «Wozu? Es ist nur eine Erkältung. Er kann auch nicht helfen.
Bitte, ruf nicht an.»
    «Warum nicht?»
    «Weil er sofort kommen wird, und das ist überflüssig, und hinterher
keine Rechnung schicken wird, und das ist mir peinlich.»
    «Ich kann ihn ja fragen, ob er dich sehen will.» Ihr
Tonfall verriet ihm, dass jede Diskussion sinnlos war.
    «Er hat’s letzte Woche selbst gehabt», verkündete sie, als sie
ins Schlafzimmer zurückkam. «Er sagt, es ist eine Virusinfektion, die momentan
umgeht. Es dauert nicht lange, nur ein paar Tage. Du sollst im Bett bleiben,
Aspirin nehmen und viel trinken – und keinesfalls ausgehen, bevor du
vierundzwanzig Stunden fieberfrei warst.»
    «Ein paar Tage! Und morgen hab ich Vorstandssitzung.»
    «Jetzt nicht mehr. Du bleibst mir bis Montag im Bett. Der Vorstand
wird ausnahmsweise auch ohne deinen weisen Rat auskommen.»
    «Aber morgen ist es besonders wichtig. Ich muss dabei
sein.»
    «Wir werden noch sehen. Aber rechne nicht damit.»
     
    Die Vorstandssitzung begann um zehn. Die Abwesenheit des Rabbi
gab zu keinen besonderen Kommentaren Anlass. Es war schon öfters vorgekommen,
dass er verhindert war. Doch Mortimer Schwarz und Marvin Brown legten es anders
aus.
    «Es ist doch ganz eindeutig, oder nicht?», triumphierte Schwarz.
«Er hat inzwischen gemerkt, dass er kein Bein auf den Boden kriegt, wenn er
Stunk macht. Dass er dann entweder den Schwanz einziehen oder kündigen muss.
Beides will er nicht – also bleibt er einfach weg.»
    «Hm, hm. Und was tun wir jetzt?»
    «Weißt du, Marve, nachdem der Rabbi nicht da ist, sieht das
alles ein bisschen anders aus, finde ich. Es langt, wenn du über die Tätigkeit
des Friedhofskomitees berichtest – du brauchst Hirsh gar nicht zu erwähnen.
Erzähl ihnen nur, wie wichtig dieser Weg ist; am besten verlangst du gleich
eine Budgeterhöhung …»
    In dem Augenblick winkte Arnold Green, der Sekretär, Schwarz
zu sich hinüber.
    «Was ist los, Arnie?»
    Green zog den Gemeindevorsteher in eine Ecke und zeigte ihm
einen Brief. «Lies das mal … Es lag heute im Vorstandsbriefkasten; dem
Poststempel nach muss er schon Samstag angekommen sein. Ein Brief vom Rabbi.
Ich wollte ihn dir zeigen, bevor ich ihn vorlese.»
    Schwarz überflog den Brief, faltete ihn zusammen und steckte
ihn wieder in den Umschlag. «Hör zu, Arnie», sagte er nachdrücklich, «ich will
nicht, dass dieser Brief heute dem Vorstand vorgelesen wird. Vergiss, dass er
je angekommen ist, verstanden?»
    «Aber ich muss doch alles vorlesen, was eingegangen …»
    «Der Brief war gar nicht für dich bestimmt. Er ist an mich adressiert
… Versprich mir, dass du kein Wort sagst!»
    «Was soll das alles?»
    «Ich weiß nicht viel mehr als du; aber ich muss bald
dahinter kommen, sonst gibt’s einen Riesenkrach in der Gemeinde … Weißt du
noch, wie es war, als es um die Verlängerung seines Vertrages ging? Du willst
doch nicht wieder so ein Theater, oder?»
    «Natürlich nicht. Aber wenn der Rabbi dem Vorstand einen
Brief schickt, wird er sich wundern, warum er nicht vorgelesen wurde.»
    «Der Rabbi ist ja gar nicht da. Mach dir keine Sorgen … Man
wird ihn schon vorlesen – eine Woche früher oder später, das kommt doch nicht
drauf an.»
    «Ja, dann … Wenn du’s so haben willst – von mir aus.»
    «Ja, so will ich’s haben. Und jetzt wollen wir endlich mit der
Sitzung anfangen.»
     
    «Der Rabbi hat eine leichte Grippe», verkündete Dr. Sigman,
als sich alle gesetzt hatten. «Gegen Mitte der Woche ist er sicher wieder auf
den Beinen.»
    Marvin Brown, der ziemlich weit hinten saß, warf Schwarz
einen vielsagenden Blick zu; der nickte kurz und eröffnete die Sitzung. Der
Sekretär verlas das Protokoll, dann kamen die einzelnen Kommissionsberichte an
die Reihe. Marvin Brown legte keinen Bericht vor, bat aber um das Wort.
    «Ich weiß nicht, ob das zu einem Kommissionsbericht gehört
hätte. Ich habe einen Antrag zu stellen, aber vorher möchte ich noch ein paar
erklärende Worte dazu sagen.»
    «Stell erst mal deinen Antrag, und hinterher, wenn er
unterstützt wird, kannst du in der Diskussion immer noch deine Erklärung
abgeben.» Al Becker, der im Vorjahr Gemeindepräsident gewesen war, hielt sich
streng

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