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Am Samstag aß der Rabbi nichts

Am Samstag aß der Rabbi nichts

Titel: Am Samstag aß der Rabbi nichts Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Harry Kemelman
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– und
ich entschied, dass er einer war. Und wiederum ist es an mir – an mir allein –,
zu bestimmen, ob sein Tod ein Begräbnis nach jüdischem Ritus gestattet. Liegt
ein Selbstmordverdacht vor, so muss wiederum ich entscheiden, welches Gewicht
den Indizien beizumessen ist und ob mildernde Umstände zu berücksichtigen sind.
Das ist keine Gemeindeangelegenheit, sondern ein rein rabbinisches Problem.»
    «Tja, wenn Sie so wollen …»
    «Ich habe also meine Entscheidung getroffen und die Witwe
an die Friedhofskommission verwiesen. Mr. Brown hat ihr eine Grabstelle
verkauft, nachdem sie gemäß der Gemeindesatzung eine bestimmte Summe bezahlt
hatte, wodurch der Tote nachträglich Gemeindemitglied geworden ist. Darum muss
ihn die Gemeinde jetzt wie jedes andere Mitglied begraben.»
    «Das steht nicht nur in den Statuten, sondern entspricht der
Tradition», warf Wasserman ein.
    «Angenommen, es stellt sich später heraus, dass Hirsh
tatsächlich Selbstmord begangen hat: Dann bin wiederum nur ich befugt, zu
entscheiden, ob sein Leichnam den Friedhof entehrt. Würde ich es bejahen, so
wäre es an mir allein, die weiteren Maßnahmen zu beschließen. Aber was
passiert? Der Vorstand folgt in der Angelegenheit Mr. Goralsky.» Der Rabbi
hatte sich in Zorn geredet; jetzt lehnte er sich zurück und lächelte
entschuldigend. «Ich habe Schwarz und Brown gesagt, dass ich die Entwürdigung von
Hirshs Grab nicht dulden werde. Bei den momentanen Beziehungen zwischen mir und
der Gemeinde ist mein Verbot so gut wie wirkungslos. Darum habe ich meinen
Rücktritt eingereicht.»
    «Was? Ihren Rücktritt?» Wasserman war entgeistert.
    «Wollen Sie sagen, dass Sie ihn schon abgeschickt haben?», fragte
Becker.
    Der Rabbi nickte. «Nachdem mir Brown gesagt hatte, dass man
sich über meine Ansichten hinwegsetzen würde, habe ich mein Rücktrittsgesuch
geschrieben und abgeschickt. Freitag war das.»
    «Aber warum denn, Rabbi? Warum?», jammerte Becker.
    «Das hab ich Ihnen ja gerade erklärt.»
    Wasserman war außer sich. «Sie hätten mich wenigstens anrufen
können! Ich hätte schon mit Schwarz gesprochen; ich hätte die Sache vor den
Vorstand gebracht. Ich hätte …»
    «Das ging nicht. Es war eine Sache zwischen Brown, Schwarz
und mir. Hätte ich zu Ihnen laufen sollen, damit Sie mir helfen, meine
Autorität auszuüben? Abgesehen davon, was hätte es genützt? Sie hätten die
Gemeinde gespalten, und am Ende hätte der Vorstand doch mit Schwarz gestimmt.
Sie sagten es ja selbst: Wenn man die Wahl hat zwischen der Leiche eines
Unbekannten und einem Hunderttausend-Dollar-Projekt, besteht da ein Zweifel,
wie die Abstimmung verlaufen wird?»
    «Und wie denkt Ihre Frau darüber?», wollte Wasserman wissen.
    «Moment mal, Jacob», unterbrach ihn Becker: «Der Rabbi sagt,
er hat den Brief am Freitag aufgegeben; er muss also am Samstag angekommen sein
… Wie kommt es, dass er in der Sitzung nicht vorgelesen wurde?»
    «Eine gute Frage …», murmelte Wasserman.
    «Das bedeutet doch, dass Schwarz den Rücktritt nicht
akzeptiert.»
    «Möglich», sagte Wasserman bedächtig, «aber ich glaube es
kaum.»
    «Vielleicht wollte er mit dem Rabbi noch mal darüber sprechen?»
    «Kann sein. Aber ich bezweifle es.»
    «Was sonst?»
    «Ich vermute, er will es zuerst mit seinen Freunden im Vorstand
besprechen und eine Mehrheit auf seine Seite ziehen. Wenn er dann die Sache in
der Sitzung vorträgt, kann er durchdrücken, was er will.»
    «Ja, glaubst du, dass er den Rabbi loswerden will?»
    «Ich glaube, dass ihn nichts auf der Welt von seinem
Synagogen-Projekt abbringen kann.»
    «Warum liegt ihm so viel an diesem Neubau? Wir brauchen ihn
doch gar nicht.»
    «Weil es ein Neubau ist, darum. Weil das Ding mindestens hunderttausend
Dollar wert ist, weil er hinterher sagen kann: ‹Bitte schön, das habt ihr mir
zu verdanken.› … Was meinen Sie, Rabbi?»
    Der Rabbi hatte sich vorgenommen, das persönliche Interesse
von Schwarz nicht zu erwähnen; er nickte langsam. «Ja, mag schon sein.»
    «Na schön …» Wasserman seufzte. «Es wird nicht leicht sein,
Rabbi, aber wir werden unser Möglichstes tun.»
     
    «Mir hättest du’s ja wenigstens sagen können», protestierte
Miriam. «Ich wäre beinahe reingeplatzt, als ich hörte, was du Wasserman und
Becker erzähltest.»
    «Verzeih, Miriam; es war nicht recht von mir, aber … Ach,
ich wollte dir keine unnötigen Sorgen machen. Ich dachte, die Sache renkt sich
wieder ein. Ich bin nicht auf die Idee

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