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Am Schwarzen Berg

Am Schwarzen Berg

Titel: Am Schwarzen Berg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna Katharina Hahn
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Kutteln genommen? Die kriegen sie doch ganz ordentlich hin.« Otto schüttelte langsam den Kopf: » Ma belle dame sans merci hat heute morgen ihren großen Auftritt gehabt. Da habe ich es vorgezogen, mich ohne Frühstück zu verabschieden.« Er betrachtete Veronika über den Rand seiner Brille hinweg. Sein Lächeln konnte unverschämt, teilnehmend oder einfach nur Ausdruck jenes gleichgültigen Charmes sein, den er reflexhaft an jedermann austeilte. Otto Bohnenberger trug sein Romanistentum und die Jahre an der Sorbonne vor sich her wie ein Verkäufer auf dem Weihnachtsmarkt gebrannte Mandeln und Liebesperlen. Nur ein wenig zuviel davon verursachte Krämpfe. Sie lächelte nicht zurück, fragte nur: »Wie geht es deiner Hüfte?« Er nahm das Stichwort bereitwillig auf und ließ sich über seinen letzten Arztbesuch aus.
    Ottos Körper war Veronika in guter, wenn auch verschwommener Erinnerung. Im Jahr von Peters USA -Aufenthalt, 1986, hatten sie sich eine Zeitlang im Hotel Espenlaub am Olgaeck getroffen. Den Ausgangspunkt ihrer Affäre bildete die Cafeteria der Württembergischen Landesbibliothek, wo Veronika manchmal ihre Mittagspausen verbrachte. Sie streute Zigarettenasche über die mit Käse verschlackten Rinden ihres Schinkentoasts und las, um dem Geschwätz der Kolleginnen zu entkommen und nicht zu viel über Emil nachdenken zu müssen. Er hatte sich seit Peters Weggang hinter einem Wall aus Wortkargheit und Melancholie verschanzt und immer tiefer in die Suche nach einem unbekannten Werk Mörikes verstrickt. Der Hesse Otto Bohnenberger war just in diesem Sommersemester neu in die Stadt gekommen: frisch habilitiert über Alphonse de Lamartine, verbeamtet an der Stuttgarter Uni, eingemietet in der Belle Etage einer Killesberger Villa und voller Entsetzen über das größtenteils so wüste Antlitz seiner Umgebung und die eigene Unfähigkeit, sich in ihr zu Hause zu fühlen. »Dein Pferdeschwanz, wie der dem Fontane zwischen die Dünndruckseiten baumelte, so aufdringlich, hennarot und selbstvergessen, das hat mir gefallen.«
    Als Emil Veronikas ›Geschichte mit diesem Menschenberg‹ schließlich bemerkte, wurde er aus seinem Dämmerzustand gerissen. Otto hatte ihr Jahre später erzählt, daß ihr Mann ihm auf dem Parkplatz hinter dem Wilhelmspalais ›Prügel jenseits meiner imagination ‹ angedroht hatte. Veronika gegenüber legte Emil eine neue Aufmerksamkeit an den Tag, die sie beglückte und zusehends hellhörig machte für die selbstverliebten, sich in Endlosschleife wiederholenden Schnurren Bohnenbergers.
    Während Otto redete, merkte Veronika, daß sie sich entspannte. Seiner Passionsgeschichte lauschte sie mit halbem Ohr, betrachtete seine beweglichen Stirnrunzeln, den Puttenmund. Jetzt überschüttete er den diensthabenden Arzt der Notfallambulanz mit Beschimpfungen im Pariser Argot. Sie mußte wider Willen lachen. Das gelang ihm noch immer. Unter anderem deshalb traf sie ihn, auch Jahrzehnte nach dem Hotel Espenlaub, regelmäßig zum Mittagessen.
    Otto schwadronierte jetzt über sein Editionsprojekt und über Unstimmigkeiten mit seiner jungen Frau. Sie war seine Doktorandin gewesen. Inzwischen hatten sie zwei Kinder zusammen.
    Otto war stärker gealtert als Emil, statuesk in seinem Speck. Es gab orange überhauchte Polaroidbilder aus jenem Hotelzimmer, den lachenden Satyrposen griechischer Vasen recht ähnlich. Ihren rotgebrannten Untergrund ersetzte ein greller Bettüberwurf aus Kunstfaser. Ottos verschwitztes Haar, damals noch viel voller, stand nach allen Seiten ab, sein Schwanz zeigte in die Kamera. Möcht einen Herzallerliebsten haben und mich in seinem Fleisch vergraben. Herzallerliebst nein, Fleisch ja, und zwar viel davon. Es hatte Veronika damals gereizt, mit einem Mann zu schlafen, der so viel größer war als sie, der einen Bauch hatte, den man beim Vögeln spürte, und neben dem Emil in seiner jungenhaften Zartheit wie ein Streichholzmännchen anmutete. Manchmal holte sie die Aufnahmen wieder hervor und betrachtete sie, mit der gleichen Aufmerksamkeit, die sie ihren Lieblingsstücken in der Staatsgalerie widmete. Die Versunkenheit einer Beckmannschen Dame in der Loge hatte diese wackelig fotografierte Veronika nicht, auch nicht die stolze Unberührbarkeit eines Modigliani-Aktes. Es erinnerte mehr an das verspielte Ausprobieren eines Kindes vor dem Spiegel: Schau her, das geht auch. Das bin ich gewesen. Das habe ich gemacht.
    Von Emil und ihr gab es solche Dokumente nicht, er hätte sich das

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