Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Am Schwarzen Berg

Am Schwarzen Berg

Titel: Am Schwarzen Berg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna Katharina Hahn
Vom Netzwerk:
Tennisplatz hineingepaßt. Wohl wegen der winterlichen Kälte hatte der umsichtige Wolf Aberlin eine hölzerne Trennwand eingezogen, die das Gelaß auf ein Drittel verkleinerte.
    Diese Holzwand war über und über bemalt mit Porträts in scharfer, schwarzer Linienführung. Seit dem 18. Jahrhundert waren die verschiedenen Stammgäste des Lokals hier verewigt worden. Die Signaturen Moritz von Schwinds, Otto Dix’ oder Maxim Köhlers konnte man erkennen, doch die meisten Kürzel unter den detailreichen Zeichnungen waren nicht mehr zu enträtseln. Umrahmt von der durchsichtigen Schönheit des jungen Mörike und dem wilden Aufrührerantlitz Wilhelm Waiblingers, stand Hölderlin, gestützt auf die Schultern der Freunde. Hinter ihnen sah man Maria Meyer mit offenem Haar und, verborgen im Schatten, die geduckte Gestalt Carl Fridolin Weinsteigers. Neben dem zarten, grämlichen Altmännergesicht des Hermann Lenz stand der von Kerkerhaft gezeichnete Schubart in brüderlicher Umarmung mit Eugen Gottlob Winkler. Dieser trug die Insignien seines Märtyrertums, ein abgerissenes Wahlplakat der NSDAP und eine Schachtel Veronal. Rimbaud war wenig einfallsreich dargestellt, in den Händen zwei Flaschen ›Rissling‹. Es gab die jungen Schweizer Brüder Walser und, Storch und Eule auf seinem Schoß, den Erfolgsmenschen Hauff im Gespräch mit Uhland und Beckett. Das Gemälde wimmelte von Männern und Frauen, die Veronika nicht kannte. Es gehörte zur Lieblingsbeschäftigung aller Kellergäste, über die Unbekannten zu rätseln. Einzig die Identifizierung des jungen Breitinger, noch bartlos, aber schon mit Knotenstock, Rucksack und Lodenmantel, war ihr gelungen.
    Otto rückte Veronika einen Stuhl heran und nahm ihre Hände in seine. »Was ist dir, ma chérie ?« Sie schaute ihn an und schüttelte den Kopf: »Peter ist zurück nach Hause gekommen, und es geht ihm schlecht. Er ist nicht gesund. Hat sich in seinem Zimmer eingeschlossen. Er sieht schrecklich aus, ungepflegt und verkommen. Emil hat versucht, mit ihm zu reden, aber er kommt nicht an ihn ran.«
    Otto steckte ihr eine brennende Zigarette zwischen die Lippen, eine jener Gesten voll Zärtlichkeit und Grandezza, die das Nichtrauchen unmöglich machte. »Er hat kaum mit mir gesprochen. Irgend etwas stimmt nicht. Ich mache mir solche Sorgen.« Veronika schloß die Augen und inhalierte. Otto kratzte sich am Kinn. Er drehte sich ungeduldig zur Treppe. Ewald erschien mit Wein und Gläsern. Bohnenberger schenkte Veronika ein.
    »Er war ein schöner Junge, dieser Peter, dabei verschmitzt wie ein Caravaggio-Knabe. Ich sehe ihn noch vor mir, wie er dich abholte, draußen auf dem Treppenaufgang.« Sie nickte, denn das Bild, das Otto heraufbeschwor, stand ihr deutlich vor Augen: Peter im grünen Parka, aus dem Saum der Kapuze baumelten zwei abgekaute Bänder. Das dunkelblonde Haar klebte fransig in der Stirn. Mit ernster Miene stieg er die breite Treppe am Aufgang zum Wilhelmspalais hoch. Otto war dem kleinen Peter nur wenige Male begegnet; den Erwachsenen kannte er von Fotografien. Er ahnte nicht, daß Carla und Hajo diejenigen waren, aus deren Gevögel nach einem Saunagang dieser Caravaggio-Knabe entstanden war.
    Otto wußte nichts über das Jahr 1979, jenen Sommer, als Peter ins Nachbarhaus gezogen war und sich unaufhaltsam in Veronikas Gedanken eingenistet hatte. Dieser Sommer der hastig zusammengesteckten Schaschlik-Spieße von der Coop-Metzgertheke, die beim Grillen um die Hälfte schrumpften. Der Sommer, in dem Carla und Hajo allabendlich auf der Terrasse der Bubs saßen und Moninger Bier tranken. Moninger Bier, das mundet mir, nach dem ersten Anstandsglas direkt aus der braunen Flasche. Der Aschenbecher in der Mitte des Gartentischs war voll von krumm gequetschten Kippen, durchmischt mit den gezähnten Goldmedaillen der Kronkorken.
    Meistens luden Emil und Veronika ihre Nachbarn ein. Es blieb unausgesprochen, war aber beiden klar – hier war die Basis, von der aus man mit ruhiger Hand agieren konnte. Hinter der Hollywoodschaukel an der Rasenkante stand Emils Grill, ein paar aufeinandergeschichtete Backsteine, gekrönt von einem ausgedienten Ofenrost. Käuzchen bellten ihre heiseren Schreie durch das Zwetschgenlaub, und vor dem violett zerlaufenden Abendhimmel stand borstig und schwarz der Waldrand. Peter schlief längst. Der orangefarbene Vorhang wehte nebenan aus dem offenen Fenster seines Kinderzimmers. Emil, der eine Heckenschere als Grillzange benutzte, fragte beiläufig: »Hat

Weitere Kostenlose Bücher