Am Schwarzen Berg
Keilfleckbarben schoß an Emils Hand vorbei.
»Hast du eine Tonröhre für die Buckelköpfe? Die hocken da ziemlich verloren, sie brauchen ein Versteck«, sagte Emil über die Schulter. Peter antwortete nicht. Er lag auf seinem Bett und starrte abwechselnd an die Decke oder in den Fernseher auf dem Regal gegenüber. Früher hatte dort Peters Stereoanlage gestanden. Auf dem Bildschirm saßen sich zwei stark geschminkte Frauen gegenüber und ließen ihre Hände in verschiedene Schuhe gleiten, die vor ihnen auf einem niedrigen Tisch aufgebaut waren. Die Kamera zoomte heran. Unter dem violetten Leder eines Damenmokassins zuckten die Finger in obszöner Lebendigkeit, die Oberfläche beulte sich aus. Produktnamen und Preise wurden eingeblendet, am unteren Bildschirmrand lief eine Telefonnummer entlang, daneben blinkte ein roter Schriftzug: ›Nur noch 37 Paare!‹ Die Frauen nickten und lächelten. Der Ton war so leise, daß Emil nicht verstehen konnte, was sie sagten. Im Zimmer herrschte wegen der geschlossenen Vorhänge ein orangefarbenes Dämmerlicht, durchsetzt von der Bläue des Bildschirms und dem Neonschimmer der Aquariumsleuchten. »Ein alter Blumentopf täte es auch«, fuhr Emil fort. »Ich frag mal deine Mutter.«
Er zog den triefenden Arm aus dem Becken und wischte ihn an seiner Hose ab. Die Hitze im Zimmer war unerträglich. Als Carla vor einer halben Stunde das Fenster geöffnet hatte, war es von Peter wortlos wieder geschlossen worden. Er schien zu frieren, denn er hatte sich in die karierte Wolldecke eingewickelt, die über seinem Bett lag. Peter trug dieselben Jeans, dasselbe T-Shirt wie bei seiner Ankunft vor drei Tagen. Jetzt rollte er sich ein, die Beine fast an die Brust hochgezogen, den Rücken gerundet. So paßte der Männerkörper in den schmalen Kiefernholzrahmen des Jugendlagers. Peters gelblich verfärbtes T-Shirt schob sich bei dieser Bewegung nach oben und ließ den bleichen Rücken sehen; rot entzündet saßen die Furunkel nebeneinander. Emil schloß die Augen. Er hatte eine Weile gebraucht, um sich an den Geruch im Zimmer zu gewöhnen. Vor etwa einer Stunde hatte Carla ihn herübergewinkt: sie glaube, die Pumpe in Peters Aquarium funktioniere nicht. Ob Emil nicht mal schauen könne, es sei doch ein Jammer um die Fische. Die Pumpe arbeitete tadellos. Emil war so erleichtert gewesen, endlich über die Schwelle gelassen zu werden, daß er Carla nichts verriet, sondern die Stecker von Filter und Heizung herauszog und eifrig in der kargen Unterwasserlandschaft herumzuwirtschaften begann.
Zwei Tage lang hatte Carla ihn über die Hecke hinweg mit den gleichen Ausreden abgefertigt. Ihre Lidränder waren leicht gerötet, die Wimpern darüber sorgfältig getuscht, und sie trug elegante Sommerkleider, die Emil unter der Woche noch nie an ihr gesehen hatte. Das Haus verließ sie nicht. Ihr schwarzer Golf stand neben Peters rostigem Fiat in der Einfahrt.
Während Emil auf der Lauer lag und das Haus der Raus beobachtete, vertrieb er sich die Zeit mit Gartenarbeit. Sein Grundstück hatte nie besser ausgesehen. Alle Rasenflächen waren gemäht, und selbst die Rosenbüsche am Tor, in den letzten Monaten stark bedrängt von Löwenzahn und Schnurgras, standen in krümelig geharkter Erde. Die hartnäckige Veronika hatte noch am Abend von Peters Rückkehr nebenan geklingelt. Carla servierte sie mit norddeutscher Kühle an der Haustür ab. »Der Junge ist völlig erschöpft, er schläft. Er hatte eine sehr anstrengende Zeit in seinem Beruf und muß erst mal wieder zu Kräften kommen. Ich weiß nicht, was du willst. Außerdem kocht mir etwas über.«
Emil hatte nicht gewagt, Hajo anzusprechen. Der verließ morgens im Stechschritt das Haus, die Schultern vorgebeugt, das rotbraune Aktenköfferchen in der einen, den Autoschlüssel in der anderen Hand. Er sah sich nicht wie sonst noch einmal nach seinem Haus um.
Emil hatte sich schon immer an Hajos Besitzerstolz gestoßen. Der junge Arzt war unverhohlen begeistert vom Erwerb des Nachbargrundstücks gewesen. Bis heute war es Peters Elternhaus, vor dem Spaziergänger auf dem Weg in den nahen Wald bewundernd stehenblieben. Im Vergleich zu Emils und Veronikas ungepflegtem Zweistöcker in einem struppigen Garten voll wackeliger Liegestühle und Regentonnen aus blauem Plastik war das Rausche Anwesen klar im Vorteil.
Peter regte sich in seinem Kasten. Er rieb die nackten Füße mit einem papiernen Geräusch aneinander, wälzte sich leise stöhnend auf den Rücken. Seine
Weitere Kostenlose Bücher