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Am Schwarzen Berg

Am Schwarzen Berg

Titel: Am Schwarzen Berg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna Katharina Hahn
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heizte er den Kanonenofen, röstete Kastanien und sah den Holzkloben beim Verglühen zu. In den Semesterferien arbeitete er in einer Stuttgarter Buchhandlung. Manchmal besuchte er das Dreifarbenhaus im Bebenhäuser Hof. Die dortigen Damen probierte er durch wie Eissorten, begeistert von seiner eigenen Verruchtheit und leicht zufriedenzustellen. Emil hatte noch nie eine Frau eingeladen, an Degerlochs Villen und verschlossenen Gärten vorbeizuwandern, über die Felder, bis zu dem grau gemauerten Häuschen hinter Holunderbüschen und Flieder.
    Die Keilfleckbarben standen jetzt als schimmernde Dreiecke in der Mitte des Aquariums, wechselten dann in zuckender Eile auf die linke Seite hinüber. Später würde Emil ein paar Pflanzen aus seinem eigenen Becken nehmen und bei Peter einsetzen. Und Veronika in der Bücherei anrufen.
    In einer Wäscherei in der Heusteigstraße war Emil Veronika zum ersten Mal begegnet. Sie hatte vor ihm in der Schlange gestanden. Es roch nach Stärke und heißer Bügelwäsche. Sie wippte auf grünen Lackabsätzen, bis man ihr ein halbes Dutzend Blusen in Papier eingeschlagen hatte. Emil war von einer Besitzgier überfallen worden, die nichts mit der behaglichen Geilheit zu tun hatte, die Frauen sonst bei ihm auslösten. Er schluckte unausgesetzt, starrte auf die rötlichen Flaumhärchen in ihrem Nacken, auf ihre sommersprossigen Schultern, mußte an sich halten, nicht die Lippen auf einen Mückenstich an ihrem linken Oberarm zu pressen. Dort hatte sie sich heftig gekratzt. In der Mitte der himbeerfarbenen Schwellung trat ein Tröpfchen glasiges Wundsekret aus. Aus der Handtasche ragte ein Buch hervor, zwischen dessen Seiten ein schmaler, mit Blockbuchstaben beschriebener Papierstreifen steckte. Er suchte ihre Finger nach Ringen ab, sah keine, trat vorsichtig näher, atmete den warmen Geruch von Haut und Seife. Lux, die feine Weiße. Er fragte sie nach der Zeit, obwohl die häßliche Emailleuhr über den Wäscheregalen laut vernehmlich tickte, witzelte über Filbinger, pfiff laut und falsch, kümmerte sich nicht um das abschätzige Lächeln der Wäschereiangestellten. Die Unbekannte ließ ihren roten Pferdeschwanz vor seinem Gesicht schwingen und antwortete einsilbig.
    Emil hatte seinen Kopfkissenbezug voller Dreckwäsche aus dem Froschgarten auf den Tresen geschmissen und die Rothaarige, die mit ihrem Paket zu Fuß unterwegs war, auf dem Fahrrad verfolgt, während er ununterbrochen redete. Zweimal schüttelte sie den Kopf, verzog keine Miene, schritt zügig die Mittelstraße hoch und bog in die Mozartstraße ein. Auf der Höhe jenes Hauses, an dessen Fassade unter der sahneweißen Büste des Komponisten eine verblichene Salzburg-Ansicht aufgemalt war, holte die Frau einen hell klingelnden Schlüsselbund hervor. Emil wußte, daß er jetzt handeln mußte, trat in die Pedale, überholte Veronika und fuhr ein paar Meter vor ihr gegen die Hauswand. Das Fahrrad kippte, er stürzte über den Lenker auf das Trottoir und blieb dort unter dem leise ausschnurrenden Hinterrad liegen. Dreckspritzer saßen dicht an dicht auf dem schwarzen Rahmen. Er roch das Öl der Kette, die nah an seinen Augen vorbeilief, der Himmel über den Sandsteingiebeln blitzte blau auf, dann wurde ihm schwarz vor Augen. Jemand schrie in die plötzliche Dunkelheit hinein. Das Wäschepaket klatschte zu Boden, als er die Arme gegen das Gesicht hob und rief: »Großer Gott, ich kann nichts mehr sehen!« Zwei heiße Hände fuhren ihm unter die Achselhöhlen, packten zu und rissen ihn hoch.
    Emil ließ sich willig führen, genoß den Klang ihrer besorgten Stimme, den Druck ihrer Brust, die sich im Gehen an ihn preßte. Untergehakt führte sie ihn bis in ihre Küche, wo er auf einem Klappstuhl Wasser, dann Cognac, später Tee trank und langsam erst ihre schmale Silhouette hinter blinzelnden Lidern aufschien, dann die helle Röte der aufgelösten, über die Schultern stürzenden Haare, schließlich, scharf und schmerzhaft bis in die Eingeweide hinab, der zarte Umriss ihrer Lippen, die schmale Nase, die großen grauen Augen.
    Emil setzte sich auf Peters Bettkante und nahm eine Hand, die sich kalt und fettig anfühlte. Die Nägel hatten schwarze Ränder. Er flüsterte, kaum lauter als das Gemurmel aus dem Fernseher: »Es tut mir leid, daß ich mich so lange nicht bei dir gemeldet habe. Ich wußte nicht, daß es dir so schlechtgeht, sonst wäre ich doch sofort gekommen.« Von Peter kam ein wimmernder Seufzer. Emil wußte nicht, ob er ihn

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