Am Schwarzen Berg
nicht aufdrängen. Aber ich hab es nicht mehr ausgehalten und bin hingefahren. Und da war nur noch Peter. Mia und die Kinder sind weg. Und fast alle Möbel. Er saß vor seinem Schrank, da dröhnte der Fernseher raus, irgendwelcher Mist, du hast es ja gesehen. Völlig verdreckt, bei runtergelassenen Rolläden. Ich hab ihn da rausgeschafft. Nur das Aquarium wollte er unbedingt mitnehmen. Das stand noch im Kinderzimmer. Ich mußte alles machen, Wasser ablassen, Fische fangen, in Plastiktüten packen, er war viel zu schwach dazu. Er konnte nicht mal Auto fahren. Ich hab dann den Fiat genommen und meinen Wagen stehenlassen. Den hat Hajo abends geholt. Hajo sagt, es ist ein Wunder, daß er nicht längst kollabiert ist.«
Carla drängte Emil durch den Flur, weg von der Kinderzimmertür, hinter der das Gemurmel des Fernsehers auf einmal aufbrandete. Sie schob ihn ins Schlafzimmer am Ende des Flurs, strebte auf das Ehebett zu und ließ sich in voller Länge auf die cremefarbene Tagesdecke fallen. Emil hatte diesen Raum immer gemieden. Über der Tür hing postergroß eine schwarzweiße Carla, Anfang Zwanzig, im standesamtlichen Schneiderkostüm, mit anderthalb Metern über der Erde strampelnden Pfennigabsätzen, Strümpfen mit Naht und Pillbox-Hütchen, eine Vorort-Jackie. Hajo, grinsend im dunklen Anzug mit verrutschtem Häkelschlips, hievte sie über die Schwelle.
Die Wand neben Carlas Bettseite war mit gerahmten Fotos zugehängt: Peter als Baby in gestreiftem Frottee, das blonde Kind in allen Entwicklungsstadien bis hin zum Austauschschüler und Logopäden mit Diplom, dazwischen Wasserfarbengemälde hinter Glasbildträgern. Ein Mecki lugte hinter der Nachttischlampe hervor. Auf Hajos Seite stapelten sich Ärztezeitschriften und Ranke-Graves’ Claudius. Daneben saß auf einer Kleenexbox seine Lesebrille, zusammengefaltet wie ein langbeiniges silbernes Insekt.
Carla hatte sich auf die Seite gedreht, Aug in Aug mit den Kinderbildern ihres Sohnes. Sie griff nach dem Mecki und drückte ihn an ihr verheultes Gesicht. Emil staunte, wie viel von der jungen Frau noch an ihr zu sehen war, trotz der unbarmherzigen Gegenwart des Hochzeitsbildes und seiner glatten Hauptdarstellerin. Auf ihren Händen waren Altersflecken erschienen, aber es war unverkennbar Carla. Bei Veronika war er sich manchmal nicht sicher. Es gab immer wieder Momente, in denen er ihren langen roten Pferdeschwanz vermisste und die dazugehörige, in seiner Erinnerung so sanfte, deutlich seltener alkoholisierte Person. Daß Veronika ihrerseits mindestens einmal im Monat um ›ihren alten Emil‹ klagte, der ›so begeisterungsfähig und gar nicht feige‹ gewesen sein sollte, machte den Mangel nicht weniger stark. Er fragte sich, ob sie wußte, wie sehr er ihre Kurzhaarfrisur verabscheute, die sie sich jenseits der Vierzig zugelegt hatte, dieses schauerliche schwarze Gestachel. Sie hatte damals behauptet, sie wolle kein altes Hippiemädchen mehr sein.
»Mein Peter, mein Schnuck, was soll ich nur machen?« Mit einem Finger streichelte Carla den Plüsch-Igel. Schluckauf schüttelte sie, die Schürzenbänder hatten sich gelöst, und der Stoff breitete sich über ihrer Hüfte aus wie ein einzelner roter Flügel. Emil setzte sich neben sie und berührte ihren herabhängenden Arm. Auf dem Handrücken traten grünlich die Adern hervor. Emil bemerkte plumpe Verdickungen an ihren Fingerknöcheln. Ausgerechnet jetzt fiel ihm ein, wie Carla im Geviert der Eisbeerhecke unter der Gartendusche gestanden hatte, wie sie ihren Bikini zu einer triefenden Kugel geknüllt und nach Emil geworfen hatte. »Was schaust du denn so? Ich dachte, du bist der Freigeist und ich die spießige Hausfrau.« Das Geriesel des Wasserstrahls auf den Steinplatten, das leise Ploppen der kugeligen Beeren unter ihren nackten Füßen, ihre Sonnenmilch, Gewittergeruch. Carla, von deren tiefem Nabel ein weißes Muster bis zur Scham hinunterlief, dünne Vogeltritte auf der braunen Haut. Carla, die sich ein Liegestuhlpolster unter den Hintern schob und stöhnte: »Was ein Kind alles anrichten kann mit dem Körper seiner Mutter. Veronika ist sicher gelenkiger.«
Er richtete sie auf und reichte ihr ein Glas Wasser vom Nachttisch. »Igitt, das ist ja ganz abgestanden.« Das helle Blaugrün ihrer Augen war Peters Farbe. Auch bei den schmalen Händen und in der schlaksigen Haltung glich Peter seiner Mutter. Emil umarmte sie und küßte ihren Hals, fuhr mit der Hand in den Ausschnitt ihres Kleides. Sie hielt still,
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