Am Schwarzen Berg
hinterließ ihm die Wohnung in der Constantinstraße. Sie nahmen eine Hypothek auf, kauften das Haus am Schwarzen Berg, genossen den Garten, die Nähe des Waldes, ihre Hollywoodschaukel. Sie liebten sich auf der Terrasse, lasen einander vor, tranken Soave und, als es kühler wurde, Cognac aus den Schwenkern des alten Beyer, der Emils Hausbesitzerherrlichkeit nicht mehr erlebt hatte. Bei der standesamtlichen Trauung hatte er keine Miene verzogen, doch die Relenbergstraße gefiel ihm. In den letzten Monaten vor seinem Tod, Schlaganfall wie vorprogrammiert, hatte er häufig auf dem kleinen Balkon gesessen und kopfschüttelnd seinen Schwiegersohn betrachtet: »Der Kerle hat tatsächlich Potential. Zumindest die Lage stimmt.«
Emils Hängematte aus dem Froschgarten wurde am Schwarzen Berg zwischen zwei Apfelbäumen aufgespannt. »Da muß eine Schaukel hin«, hatte Veronika gesagt, aber es kam nicht dazu. Anfangs hatten sie nicht darüber nachgedacht, dann begann sie, Temperatur zu messen und zu rechnen. Die ersten Arztbesuche folgten. Die Namen von Spezialisten wiederholten sich ständig. Veronika schluckte Globuli, ließ sich auspendeln und wanderte bei Vollmond nackt durch den Garten. Dreimal saß sie gegen Ende des zweiten Monats auf dem Badewannenrand, die Unterhose hing um ihre Knöchel, sie zeigte Emil weinend einen Klumpen blutverschmiertes Toilettenpapier: »Da, schau es dir an, das ist unser Kind!«
Im Sommer danach packte Emil das Auto voll. Sie fuhren bis Istanbul und von dort nach Aleppo und hinunter nach Damaskus. Im Garten trieb sich nach ihrer Rückkehr ein großer braungelber Kater herum, stellte Zauneidechsen und Vögeln nach, lauerte im hohen Gras um die Zwetschgenbäume. Es war ein schwerer Geselle mit Vierkantschädel und einem ansehnlichen Paar schaukelnder Hoden, der sich binnen kürzester Zeit angewöhnt hatte, ausgedehnte Schlafpausen auf ihrem Küchentisch zu machen. Veronika taufte den Kater Rémy nach ihrem zweitliebsten Cognac und dem Waisenjungen in Hector Mallots »Heimatlos«. Sie fütterte Rémy erst mit Wurstscheiben, später mit roher Leber und Thunfisch. Wenn sie abends im Wohnzimmer saßen, lag der Kater zwischen ihnen und schnurrte. Bald hatte er das Schlafzimmer erobert. Kam Veronika aus der Bücherei, wartete Rémy am Gartentor. Morgens sprang er auf die Bettdecke und trampelte miauend auf den Schlafenden herum, bis er sein Frühstück erhielt. Nach Katerart verschwand er zwischendurch für längere Zeit. Wenn er sich Wochen später wieder einstellte, magerer als sonst und mit Kletten im Pelz, wurde er mit einem metallenen Stielkamm bearbeitet, unter dessen rupfenden Strichen er sich behaglich räkelte. Verreisten Veronika oder Emil, Schullandheim, Bibliothekartag, mußten sie ihr Gepäck gut verschließen, denn das Tier nahm die Abwesenheit seiner Beschützer so übel, daß es kurzerhand in die Koffer hineinschiß.
Die Gemeinschaft mit dem Kater fand ein plötzliches Ende, als Emil eines Tages aus der Schule eine Stoffmaus für Rémy mitbrachte. Es sei das Geschenk eines Kollegen, dem er häufig von den Possen des Tieres erzählt habe. Als Emil seiner Frau lachend berichtete, der Dettinger habe für seine beiden Jungen Kuschelmäuse gekauft und er sei der Ansicht, dem Rémy gebühre die dritte, denn er sei bei Bub-Beyers auch das Kind im Hause, war Veronika blaß geworden. Von diesem Abend an hatte sie den Kater nicht mehr ins Haus gelassen, obwohl er nächtelang kläglich maunzte und Emil protestierte.Dann kam das Jahr 1979. Die alte Frau, das Frei, im Nebenhaus starb. Die Erben warfen einen verschlissenen Ohrensessel und bündelweise Bergdoktor-Romane aus den Parterrefenstern. Dr. Hans-Jochen Rau schickte ein Dutzend Handwerker durch, und zu Ostern zogen Peter und Carla ein.
Emil fuhr zusammen, als die Tür aufging. Carla trat mit einem Teller geschnittenem Obst ins Zimmer, den sie klappernd auf den Nachttisch stellte. Sie rückte den Schreibtischstuhl zurecht, strich die Wolldecke glatt. Peter drehte sich zur Wand. Emil erhob sich und nahm eine Dose Fischfutter aus dem Regal. Er zerkrümelte eine Prise der bunten Flocken zwischen den Fingern und ließ sie ins Wasser rieseln. Die Welse beachteten die an der Oberfläche trudelnden Brösel nicht, aber Buckelköpfe und Keilfleckbarben schnappten gierig danach. Emil schloß den Deckel und ging vor dem Bett in die Hocke. »Ich habe dir was zu lesen mitgebracht. Vielleicht bringt dich das auf andere Gedanken.« Wider besseres
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