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Am Schwarzen Berg

Am Schwarzen Berg

Titel: Am Schwarzen Berg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna Katharina Hahn
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Küche. Das Wechseln schaffst du alleine, oder?« Carla nickte und sah auf einmal sehr patent aus. Die Gegenwart ihres Mannes wirkte auf sie wie ein Stimmungsaufheller. Sie hatte die Schultern nach hinten genommen, die Mundwinkel zeigten optimistisch nach oben. Mit sicheren Bewegungen wischte sie Peters Gesicht mit einem Einwegwaschlappen ab, strich Vaseline auf seine Lippen, sammelte Tupfer, Pflasterreste und die Verpackung der Kanüle ein. Sie hatte nie schlecht über ihren Mann gesprochen. Ihr Stolz auf ihn war unverhohlen. Wenn Emil lästern wollte, sprang sie nicht darauf an. »Er ist ein ganz toller Typ, das hab ich gleich gespürt. Mit ihm wär ich auch an den Nordpol gegangen. Dann ist es bloß das Ländle geworden. Aber er hat etwas aufgebaut, ohne jede Hilfe. Seine Eltern hatten überhaupt kein Geld, ganz einfache Leute aus dem Nordschwarzwald, so ähnlich wie meine Mutter. Sie sind auch schon lange tot. Das Studium hat er in Rekordzeit geschafft, trotz dieser 68er-Spinnereien. Er erzählt immer, daß sie Sit-outs gemacht haben, wenn die reingekommen sind, um zu stören. Er wollte sein Examen schaffen, Geld verdienen. Das habt ihr natürlich alle nicht kapiert.«
    Hajo beugte sich zu seinem Sohn herunter und fuhr ihm mit dem Zeigefinger über die Wange. An den Manschetten seines hellblauen Hemdes sah Emil rostbraune Spritzer. Als er sich wieder aufrichtete, stöhnte Hajo leise und rieb sich das Knie. Er litt schon länger unter Arthrose. Mit einem Seufzer wandte er sich zum Schreibtisch um und stutzte beim Anblick der Bücher. Er verzog die schmalen Lippen. In den braunen Augen hinter der Hornbrille standen Tränen. »Das nutzt ihm jetzt auch nichts mehr.« Er trat näher an Emil heran, sein Atem roch wie immer nach Vivil. »Am besten, du nimmst das alles wieder mit. Ich werde ihn schon wieder hinkriegen. Es war gut, daß du vorbeigeschaut hast. Hat Carla dich geholt?«
    Emil nickte nur, drückte die Bücher an die nackte Brust und wandte sich zur Tür. Ihm fiel nicht ein, was er hätte erwidern können. Eine Erinnerung kam ihm in den Sinn: Der jugendliche Peter, barfuß am Gartentisch über einem Stapel Broschüren aus dem Berufsinformationszentrum, die er ratlos durchblätterte: »Warum kann man nicht einfach nur dasein? Bücher lesen? Vögel beobachten und rumspazieren? Diese ganzen Romantiker, die waren wenigstens adlig, hatten irgendwo Ländereien, die Erträge abwarfen, und konnten den ganzen Tag tun und lassen, was sie wollten.« Emil hatte beschwichtigend geantwortet: »Arnim hat sich auf seinem Gut halb totgeschuftet, Novalis beschäftigte sich mit Bergbau, Mörike war ein kranker, unglücklicher Pfarramtsknecht.« Peter mußte lachen: »Ich glaube, er hat sich nur erfolgreich gedrückt. Lenz hat das besser gemacht, seine Hanne hat alles verstanden und ihn ernährt. So eine muß ich auch finden. Eine reiche Erbin, am besten eine Gräfin.« Und Emil hatte lachend erwidert: »Aber bitte keine Dolores!«
    Emil öffnete die Haustür und trat hinaus in die blau leuchtende Mittagshitze. Carlas Kletterrosen flammten an der Mauer empor. Ihm war schwindelig. Kurz vor dem Gartentor knickte er ein und strauchelte. Die Bücher klatschten auf den Plattenweg. Der Weinsteiger hatte sich im Sturz geöffnet und war mit ausgebreiteten Seiten wie ein großer, plumper Falter gelandet. Emil sah in das mißvergnügte, etwas quallige Antlitz des alten Mörike. Erdkrümel puderten das Papier. Hajos Schatten fiel über Emil. »Du solltest jetzt nicht auch noch schlappmachen. Der eine da drin reicht mir vollkommen.« Er half ihm wieder auf und reichte ihm das Buch. Hajo griff nach seinem Koffer. »Da liegt das eigene Kind wochenlang im Dreck, halb verdurstet und verhungert. Und ich Rindvieh habe vor lauter Arbeit nichts gemerkt!« Seine Stimme kippte, er wandte sich um und rannte zum Auto. Die Fahrertür knallte, der Motor heulte auf, Kies spritzte, dann war es wieder still. Emil blieb noch einen Augenblick auf der Vortreppe sitzen.

7 Veronika fuhr den Etzelweg hoch und parkte in der Kehre, wo keine Häuser mehr standen. Sie stieg aus und blickte kurz über den Wald und die Häuser im Tal, sah die ansteigenden Gartengrundstücke mit ihren Trockenmauern, Obstbäumen und blühenden Wiesen. Es ist fast wie bei uns, er hat sich nicht weit weggetraut, dachte sie. Am oberen Ende der Etzelstaffel bemerkte sie zum ersten Mal einen abgeschabten roten Kaugummiautomaten. Auf den vergilbten Plastikfensterchen saßen braune

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