Am Schwarzen Berg
das schon. Es gibt so gute Medikamente. Du mußt dich nur ein bißchen zusammenreißen.« Peter saß vornübergebeugt und starrte auf seine Füße. Emil bettete ihn zurück auf das Lager und stopfte ihm ein Kissen unter den Kopf. Carla weinte. Emil merkte es an ihren zuckenden Schultern. Sie häufte die Abfälle in ihre Schürze, die sie hochraffte wie ein Kind beim Kastaniensammeln, und verließ das Zimmer.
Unten knallten Autotüren. Die Schritte auf der Treppe schienen ihm lauter als nötig. Hajo trat ein. Sein Hemd unter dem braunen Jackett war zerknittert, die Krawatte hing schief. Seit ihm die Haare ausgingen, ließ er sich den Kopf kahlrasieren. Sein schmaler, sonnengebräunter Schädel glänzte. Emil sah ein paar dunkle Pigmentflecken auf der straff gespannten Haut. Hajo stellte seinen Arztkoffer vor dem Bett ab. Sein Gesichtsausdruck war müde und ratlos. Emil bemerkte, daß er schlecht rasiert war. Hajo hängte das Jackett über den Schreibtischstuhl, beugte sich vor, riß die Vorhänge auf, öffnete beide Fensterflügel. Emil sah Schweißflecken unter seinen Achseln, roch sein teures Aftershave und den darunterliegenden Steriliumgeruch. »Hier muß Luft rein, das ist ja nicht zum Aushalten.« Hajo beachtete den halb entblößten Emil nicht, setzte sich an den Bettrand und öffnete den Koffer. »Peter. Peter, hörst du mich?« Peter, der beim Einbrechen des Lichts einen dumpfen Laut ausgestoßen hatte, lag wieder auf dem Rücken, die Arme über dem Gesicht verschränkt. Sein Vater legte die Blutdruckmanschette um seinen rechten Oberarm, drückte die schwarze Gummipumpe, wärmte den silbernen Kopf des Stethoskops kurz in der Hand an, bevor er ihn in Peters Armbeuge drückte. »85 zu 70, viel zu niedrig.« Prüfend nahm er eine Hautfalte zwischen Daumen und Zeigefinger, schüttelte den Kopf: »Du bist ganz ausgetrocknet.« Hajo sprang auf und brüllte in den Flur: »Carla! Er ist exsikkiert! Du mußt, verdammt noch mal, darauf achten, daß er was trinkt. Da steht es, das volle Glas! Wo ist die Schnabeltasse? Was machst du eigentlich die ganze Zeit?« Er nahm ein Plastikfläschchen und eine Schachtel mit Tupfern aus dem Koffer. »Carla! Kochsalzlösung intravenös! Er hat bestimmt schon Bewußtseinstrübungen! Ich leg jetzt einen Zugang.«
Der weiße Zellstofftupfer, mit dem Hajo die Einstichstelle desinfizierte, verfärbte sich grau. Die grünen Plastikflügelchen des Butterfly zitterten über Peters Vene. Hajo umklebte den Zugang mit weißem Pflaster. Emil mußte den durchsichtigen Liter-Beutel mit der Lösung hochhalten, die langsam in Peters Körper rann. Dann stürzte Hajo aus dem Zimmer und kam mit einem Hammer zurück. Er schlug einen Nagel in die Wand über dem Bett und hängte den Beutel daran auf. Emil bemerkte einen verfetteten Ring um seine Hüften. Hajo kommandierte Emil mit kurzen bellenden Sätzen, denen er gehorchte, ohne nachzudenken. Dabei ließ er den Blick nicht von Peter, der mit geschlossenen Augen dalag und dessen Gesichtshaut im vollen Tageslicht sehr bleich aussah.
Emil fühlte sich von Hajo ertappt. Es war eine Überraschung, diesen normalerweise bis zum Abend abwesenden Mann so früh hier zu sehen. Hajo war in seinem Haus um diese Tageszeit ein Fremder. Schon in Peters Kindheit war er nur abends für seinen Sohn dagewesen, brachte ihm bei, wie man ein Grillfeuer am Laufen hielt oder eine Heuschrecke fing. An den Wochenenden, wenn der Arzt, wie kostümiert in Jeans und Holzfällerhemd, neben Peter in Richtung Wald davonradelte, hatte Emil eine dumpfe Eifersucht gespürt. Häufig sah er die beiden über einem Schachspiel auf der Terrasse sitzen, von Carla mit Saft und Kuchen versorgt. Dann war er in sein Arbeitszimmer geschlichen und hatte nach Lockstoff für den nächsten Nachmittag gewühlt: einem Päckchen Tafelkreide, besonderen Buntstiften. Selbst seine alten Spielsachen aus der Constantinstraße schenkte er weg: die Schneekugel mit dem Alten Schloß, ein paar Zinnsoldaten, einen Lederbeutel voll Murmeln.
Carla trug eine Teekanne auf einem Tablett herein. Es roch nach Fenchel und Anis. Hajo schüttelte den Kopf. »Das bringt im Moment nichts. Laß das Zeug erst durchlaufen.« Er rückte seine Krawatte zurecht. »Ich muß los, das Altenheim wartet noch. Und der Pfaff will nächste Woche Urlaub machen, dann haben wir seine Leute auch noch am Hals. Wenn es zu schlimm wird, muß ich ihn einweisen.« Er deutete mit dem Kinn auf den Schlafenden. »Der zweite Beutel liegt in der
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